Im Station schwenken viele Fans Deutschlandfahnen

Integration wird nicht auf dem Fußballfeld entschieden

Die Debatte um Fußball-Nationalspieler Mesut Özil hat hohe Wellen geschlagen. Ich muss sagen: Zunächst war ich über die Heftigkeit der Reaktionen zu seinem Rücktritt überrascht. Aber beim zweiten Hinsehen war mir klar: Özil ist hier zum Spielball geworden für ein Problem, was dringend besprochen werden muss und sein Ausscheiden aus dem DFB-Team kam als Auslöser ganz passend.

Die Integration von türkischstämmigen Personen in Deutschland ist eigentlich schon Debatte, seit Türken in den 60er Jahren als Gastarbeiter hier her gekommen sind. Auch im letzten Jahrzehnt war das immer wieder Thema. Es schien langfristig schwieriger zu sein, türkischstämmige Bürger zu integrieren als beispielsweise Italiener oder Polen. Vielleicht, weil der christliche Glaube bzw. die damit verbundene Kultur in Deutschland doch heute gar nicht so unwichtig ist, wie viele Menschen denken. Der Islam und die damit verbundenen Bräuche sind vielen fremd und was fremd ist, macht Angst.

Die Debatte über Deutschtürken rückte in den Hintergrund, als die „Flüchtlingskrise“ 2015 begann. Auf einmal waren Flüchtlinge die Fremden in Deutschland und die Türken die Bekannten, die je nach politischer Stimmungslage mal mehr und mal weniger zu Deutschland gehörten. Ein größeres Thema wurden die Deutschtürken lediglich kurz bei den Parlamentswahlen 2015 in der Türkei, als die Mehrheit der stimmberechtigten Deutschtürken sich für Erdoğan aussprach. In Deutschland konnte man nicht begreifen, wie das „passieren konnte“. Für mich nicht schwer vorstellbar: Ich glaube nicht, dass sich all die Deutschtürken so tiefgehend mit dem politischen Konzept von Erdoğan beschäftigt haben (Ich mein: Welcher Deutsche liest komplette Parteikonzepte vor der Wahl?). Erdoğan ist zu einer Figur geworden für das Ernstgenommen werden; für die Anliegen der Deutschtürken. Für die, die sich nicht integriert fühlen. Für die, die keine Perspektiven für sich sehen. Und auch für die „gut integrierten“, die sich fühlen, als müssten sie sich zwischen Deutschland und der Türkei entscheiden. Und in einer gefühlt hoffnungslosen Situation seine Hoffnung auf jemanden zu legen, der gerade „was Nettes“ anbietet; das kommt uns doch auch in Deutschland bekannt vor, oder?

Zurück zu Mesut Özil. Sport kann sehr viel zur Integration beitragen; ob sie gelingt oder nicht, das wird hier allerdings nicht entschieden. Auch wir merken, z.B. beim jährlichen Caritas-Köln-Cup, dass auf dem Fußballplatz oft nur eins zählt: Teamgeist, der Spaß am Spiel und auch das Talent am Ball. Bei unserem Turnier spielen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund ebenso wie Menschen mit und ohne Behinderung zusammen. Das funktioniert sehr gut. Es ist aber nicht zwangsläufig ein Indikator dafür, ob sich Menschen mit Migrationshintergrund oder mit Behinderung im Alltag wohlfühlen. Machen wir uns nichts vor: Integration ist Arbeit. Unser Fachdienst für Integration und Migration ebenso wie unsere Caritas Integrationsagenturen leisten täglich viel Arbeit, um Menschen mit Migrationshintergrund zu unterstützen. Und der jährliche Bericht unseres Antidiskriminierungsbüros zeigt, dass das auch dringend nötig ist.

Ich finde es traurig, dass es erst die Debatte rund um Mesut Özil schafft, das Thema wieder so stark zu diskutieren. Integration – auch von Türken in Deutschland – erfordert Konzepte und vor allem Taten aus Politik und Gesellschaft und zwar nicht erst jetzt. Mesut Özil war der Auslöser, obwohl ich mich frage: Ist diese Debatte im Ursprung wirklich ein Integrationsthema? Özil sagte, er wollte mit Erdoğan-Foto kein politisches Statement setzen. Aber hätte einer der deutschstämmigen Spieler ein Foto mit einem AFD-Politiker veröffentlicht, wäre der Aufschrei dann nicht genauso gewesen?

Ein Gastbeitrag von Jana Zöller, Öffentlichkeitsarbeit

1 Kommentare zu “Integration wird nicht auf dem Fußballfeld entschieden

  1. Integration wird nicht auf dem Fußballfeld entschieden? Oder vielleicht doch auch? Mir ist die Hetze gegen Spieler mit afrikanischer Herkunft noch sehr in Erinnerung… Und auch die gewaltbereiten Fußballfans – gerade kein Vorbild für Fairplay! Und für die Spieler macht das auch keinen Spaß.
    Ein gutes Team kennt sich, weiß um seine Schwächen und Stärken, und weiß, dass es unterschiedliche Kompetenzen braucht, um gemeinsam voran zu kommen. Fouls helfen nicht weiter, aber Konzentration, Mut und Kampfgeist.
    Vielleicht hätte Özil anders reagiert und geschrieben, wenn er irgendwo mehr Unterstützung in seiner Situation bekommen hätte… Auch super-gute Fußballspieler sind Menschen. Und sie haben Familienangehörige – in der Türkei. Ich weiß nicht, was das mit Erdogan macht, und welche Ideen er dabei entwickelt. Er ist ein Machtpolitiker und nutzt seine Chancen – wie wir ja alle in den letzten Jahren erleben durften – gnadenlos aus…
    Jedenfalls geht es aus meiner Sicht hier in Deutschland schon lange nicht mehr nur um Integration, es geht um echte Partizipation in einer – unserer gemeinsamen – Gesellschaft.
    Außerdem sind wir nicht mehr nur Köln, nur Deutschland, nur Europa, wir sind Bestandteil dieser Welt. Und, ja, wir mussten akzeptieren: Wir sind keine Weltmeister. Aber wir sind lernfähig. Und wenn jeder schon mal in seiner Umgebung anfängt…

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