Mit Caritas international in Tadschikistan

18 Caritas-Mitarbeitende aus ganz Deutschland auf Projektreise mit Caritas international in Tadschikistan: Als wir am ersten Abend nach Ankunft  durch die tadschikische Hauptstadt Dushanbe spazieren, können wir uns noch gar nicht vorstellen, dass Tadschikistan eines der ärmsten Länder unter den ehemaligen Sowjetrepubliken ist. Die repräsentativen Bauten in der Nähe des Präsidentenpalastes bilden einen Kontrast zur Armut und dem Unterstützungsbedarf , die wir in den nächsten Tagen bei Hausbesuchen erleben.

Einladung zum Tee bei Mashhura zuhause

In Vahdat, 30 km von Dushanbe entfernt, besuchen wir die 25-jährige Mashhura, sie hat von Geburt an eine schwere Zerebralparese. Hier empfängt uns die Großfamilie mit offenen Armen und lädt uns zum Tee ein.  Mashhura freut sich über unseren Besuch und strahlt uns an. Niso, ihre alleinerziehende Mutter, erzählt von den schweren ersten Jahren. Kinder mit Behinderung werden oft zu Hause versteckt. Es fehlt das Wissen, sie zu fördern und sie so zu akzeptieren, wie sie sind. Niso erfuhr vom Projekt der Caritas-Partnerorganisation Durakshon, als ihre Tochter 11 Jahre alt war. Mit Hilfe der Rehabilitation und Förderung lernte Mashhura während des Projektes viele Alltagskompetenzen wie Waschen und Anziehen. Das Projekt stellte auch den Kontakt zu einem Privatlehrer her, der Mashhura mit staatlicher Finanzierung bis zur 9. Klasse mit einem vereinfachten Programm zuhause unterrichtete.
Für ihre Mutter Niso war das von Caritas international geförderte Projekt die große Chance. Sie fand aus ihrer Depression und Ohnmacht heraus, absolvierte alle angebotenen Schulungen. Inzwischen ist sie selbst Sozialarbeiterin und koordiniert die Soziale Arbeit mit Kindern mit Behinderung und auch Senioren als stellvertretende Leiterin der NGO Durakhshon. „Eltern sind die größte Stütze für die Rehabilitation. Ich zeige den Familien, wie sie mit solchen Kindern richtig umgehen, sie fördern, mit ihnen unter die Leute gehen und in Kontakt kommen.“ sagt sie.
Wenn die Kinder 18 werden, endet die Projektförderung. Danach haben sie kaum eine Perspektive. Auch Niso ist beim Blick in die Zukunft für ihre Tochter bedrückt und ratlos. Mashhura hat noch Glück und den Rückhalt in der Großfamilie. Als gelernte Physiotherapeutin unterstützt die Großmutter ihre Enkeltochter mit Übungen. Und die Familie macht mit ihr Ausflüge und fördert ihre Interessen wie Musik und Malen.

Ibrohimek hat ein Start up für Handy-Reparatur gegründet.

Ortswechsel: Parvina Tadjibaeva, Leiterin des Länderbüros Caritas Deutschland in Tadschikistan ist sich der Problematik für junge Erwachsene mit Behinderung bewusst. Ausgehend von einem Sozialzentrum der Gemeinde in einem Bergdorf in Ayni hat die Caritas neben der Förderung von Familien mit Kindern mit Behinderung auch ein Programm für junge Erwachsene mit Handicaps aufgelegt. Nach Workshops, die zur Gründung von Kleinunternehmen befähigen, waren 78 junge Menschen eingeladen, ihre Start up-Ideen zu präsentieren. 10 von ihnen wurden ausgewählt und finanziell bei der Gründung unterstützt. Einer von ihnen ist Ibrohimek, der sehbehindert ist. Er repariert Handys. Inzwischen leitet er auch eine Dependance der örtlichen Telefongesellschaft: „Ohne die Förderung hätte ich keine Perspektive gehabt. Jetzt bin sehr zufrieden und stolz, meine Geschäfte laufen gut.“

Parvina Tadjibaeva, Leiterin des Länderbüros von Caritas Deutschland in Tadschikistan

Parvina Tadjibaeva (Leiterin des DCV-Länderbüros in Tadschikistan), organisiert für uns nicht nur die Kontakte zu den sozialen Projekten. Sie bringt uns auch das Leben hier näher, die Kultur, die Gewohnheiten, das Essen …
Wir sind berührt von der Gastfreundlichkeit, und wie warmherzig und offen alle Menschen zu uns sind, denen wir begegnen.

Gastfreundschaft: Einladung zum traditionellen Essen

Eine Sozialarbeiterin lädt unsere gesamte Gruppe zu einem wunderbaren Festessen mittags bei ihrer Familie ein. Und nicht nur das. Nach dem gemeinsamen Essen des erfrischenden Traditionsgerichtes Kurutob mit selbst gebackenem Brot darf das traditionelle Tänzchen nach dem Essen nicht fehlen, das alle strahlen lässt.

Nationalgericht Palov

Abends öffnet ein weiterer Kollege sein Haus für uns, verwöhnt uns mit köstlichem Palov und lädt einen Musikerfreund aus St. Petersburg, der für uns auf der Gitarre spielt.


Einblicke in die Seniorenarbeit:
Im Zentrum der NGO Durakhshon tagt der Seniorenclub. Ältere Frauen und Männer, die Jahrzehnte noch in Zeiten der Sowjetrepublik gearbeitet haben und viele Kompetenzen mitbringen, kommen hier zusammen. Da sind der Theater-Musiker, der Arzt und Therapeut, der lange Jahre eine Klinik leitete, die Druckerin, die Physiotherapeutin und eine Seidenraupenzüchterin. In wöchentlichen Treffen bereiten sie ein Projekt mit dem Ziel einer besseren Integration älterer Menschen in die Gesellschaft vor. 2024 wird es starten und ist von Caritas Deutschland finanziert. Die Senior*innen überlegen, welche Freizeitaktivitäten ankommen und womit sich andere ältere Menschen aktivieren lassen. Das können gemeinsames Nähen, Backen, Schach, Gymnastik und Tanzen sein.

Seniorenclub im Tageszentrum der Caritas-Partnerorganisation Durakhshon

Im Austausch werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der sozialen Arbeit deutlich. Die Projektidee ist sehr ähnlich wie die SeniorenNetzwerke in Köln. Ich berichte von der Nachbarschaftshilfe Kölsch Hätz, die der großen Einsamkeit älterer Menschen in der Stadt entgegenwirkt. Die Seniorinnen und Senioren können nicht verstehen, dass Nachbarschaftshilfe wie bei uns in Deutschland gesteuert werden muss. In Tadschikistan ist es selbstverständlich, dass sich Nachbarn umeinander kümmern und täglich nach einem schauen. Und selbst wenn Kinder wegen der Arbeit migrieren, bleibt immer noch ein Kind zuhause, um den alten Eltern zu helfen. Wenn das nicht möglich ist, wird täglich per Video mit den Kindern im Ausland telefoniert.

Begegnungen im Pflegeheim Batosh

 

 

 

 

 

 

Besuch des staatlichen Pflegeheims „Batosh“ in Tursunzade: Hier leben rund 220 ältere Menschen und Erwachsene mit Behinderung jeden Alters, aber auch Menschen, die von Obdachlosigkeit bedroht waren. Ihnen stehen Einzelzimmer oder als Ehepaare Doppelzimmer zu Verfügung. Zusätzlich sichert ein eigener landwirtschaftlicher Betrieb die Selbstversorgung des Hauses mit Lebensmitteln. Caritas fördert Schulungsprogramme des Personals in Rehabilitationsmaßnahmen, u.a. Physiotherapie. Im Gespräch erzählen uns die Bewohner*innen ihre Lebensgeschichten und wie sie ihre Zeit verbringen. Der Direktor führt uns durchs Haus und ist stolz auf die Komplettversorgung der Menschen. Ein russisches Ehepaar ist nach dem Bürgerkrieg wohnungslos geworden. Bereits mit 50 Jahren sind sie daraufhin in Batosh untergebracht worden. Gerne hätten sie noch gearbeitet, aber das war nicht erlaubt. Jetzt ziehen sich die Tage ohne Beschäftigung in die Länge. Auch die Unterbringung der jungen Erwachsenen mit Behinderung werfen bei uns Fragen auf. Wir sprechen mit einer jungen schwangeren Frau. Sie hat bereits eine sechsjährige Tochter, die bei ihrer Schwester aufwächst, so wird es auch beim nächsten Kind sein. Die Kinder dürfen nicht bei ihr im Heim leben.

„Tadschikistan – wo liegt das eigentlich?“
Diese Frage wird mir immer wieder gestellt. Ein paar Fakten zum Land: Tadschikistan grenzt an China, Afghanistan, Usbekistan und Kirgistan. Die Hauptstadt Dushanbe, Sitz des Präsidenten, ist mit einer Million Einwohner*innen so groß wie Köln (Gesamteinwohnerzahl: 8 Millionen). Dushanbe schillert, blinkt und strahlt in seiner opulenten Pracht.

Prunkvolles Großes Teehaus in Dushanbe

Fahrt durchs Hochgebirge

Auch wenn die Prunkbauten in der Hauptstadt es nicht vermuten lassen: Tadschikistan ist das ärmste Land unter den ehemaligen Sowjetrepubliken, nach einem Bürgerkrieg ist das Land seit 1991 unabhängig und eine Präsidiale Republik unter Präsident Rahmon. Im Stadtbild ist er mit seinem Konterfei an vielen Gebäuden omnipräsent.
Einen Kontrast bilden die Überlandfahrten durch hohe, karge Berge. 93 % der Fläche ist Gebirge. Auf den Autostraßen laufen immer wieder Ziegen und Kühe.  Tadschiken ziehen mit ihren Lasteneseln vorbei. Wir besuchen Bergdörfer, in denen nicht alle Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser hatten und jetzt mit einem Quellwassersystem dank Spendengeldern von Caritas international Abhilfe geschaffen wird.

Ein großes Problem in Tadschikistan ist die Arbeitsmigration. Viele junge Menschen finden keine berufliche Perspektive. Ein Drittel der jungen Erwerbstätigen geht als Arbeitsmigranten überwiegend nach Russland. Familien zerbrechen, es gibt mehr allein lebende, einsame ältere Menschen, die mit ihrer niedrigen Rente ihr Leben nicht finanzieren können.

NGO’s versuchen, mit Pilotprojekten dagegen zu steuern: Nicht nur junge Erwachsene mit Handicap erhalten die Chance durch Spendengelder, ein kleines Geschäft zu gründen. Auch die NGO Zumrad fördert junge Erwachsene, vor allem Waisen, mit Unterstützung der Caritas, ein Start up zu gründen und sie so im Land zu halten.

Austauschtreffen mit Caritas-Kolleg*innen aus Tadschikistan im Caritas-Büro in Dushanbe

Expertenaustausch: Thema ist der Aufbau einer Struktur sozialer, pflegerischer und medizinischer Berufe in Tadschikistan mit den Caritas-Kolleg*innen vor Ort. Wir verstehen im Laufe der Diskussion, wie sehr sich die Berufsbilder mit Ausbildungswegen in Deutschland von den bestehenden in Tadschikistan unterscheiden. Das zeigt sich u.a. beim Verständnis von Sozialer Arbeit. Sozialarbeiterinnen in Tadschikistan haben nicht wie in Deutschland ein Studium absolviert sondern sind ungelernte Kräfte, deren Hilfe Haushaltstätigkeiten wie Putzen, Kochen, Einkaufen umfasst. Caritas legt daher Schulungsprogramme auf, um die Mitarbeitenden der staatlichen Organisationen zu  qualifizieren. Auch wenn das Fachwissen bei den Sozialarbeiterinnen noch fehlt: Was wir vor allem bei unseren Hausbesuchen mitnehmen und bei uns in Deutschland oft fehlt, ist die große Warmherzigkeit, die die Mitarbeitenden den älteren, kranken Menschen entgegenbringen. Sie nehmen sie in den Arm, trösten sie, hören ihnen zu, sind einfach für sie da.

Tanzen geht immer.

Erfüllt von den vielen Begegnungen und Eindrücken geht es nach acht Tagen wieder nach Hause. Wenn ich an die Menschen und ihre Gastfreundschaft denke, geht mir immer wieder das Herz auf. Das sind viele Erinnerungen, beispielsweise an den Bewohner eines armen Bergdorfes, der aus Dankbarkeit für die Caritas-Unterstützung ein Schlaf für uns schlachten möchte, an die vielen freundlichen Menschen mit ihrer Hilfsbereitschaft, egal wo wir hinkommen.
Und was Parvina mit ihrem Team von insgesamt 10 Mitarbeitenden, ausgehend vom Caritas-Büro in Dushanbe in Tadschikistan und länderübergreifend leistet, ist einfach großartig. Sie erkennen den Bedarf an sozialer Arbeit und Unterstützung, entwickeln die passenden Konzepte und setzen sie mit großem diplomatischem Geschick auch in Kooperation mit staatlichen Stellen und dank eines breiten Netzwerkes um.

Für diese wichtige Arbeit sind Spenden immer willkommen:
Caritas international
IBAN: DE88 6602 0500 0202 0202 02
BIC: BFSWDE33KRL
Bank für Sozialwirtschaft Karlsruhe

Marianne Jürgens/Öffentlichkeitsarbeit Caritasverband Köln

Ausgezeichnet als Leuchtturmprojekt beim Nationalen Integrationspreis: „Stadtteilmütter und -väter in Köln-Meschenich“

Katja Hendrichs, Leiterin des Caritas-Zentrums Köln-Meschenich, berichtet von ihrer Reise mit zwei ehrenamtlich engagierten Stadtteilmüttern zur Preisverleihung nach Berlin:

Nasrin Ramadan und Nida Ali Rasho bei der Verleihung des Nationalen Integrationspreises im Bundeskanzleramt Berlin

Am 29.10.2018 bin ich mit zwei Vertreterinnen der „Stadtteilmütter und –väter in Köln-Meschenich“ zur Verleihung des Nationalen Integrationspreises der Bundeskanzlerin nach Berlin gereist. Das Sozialprojekt aus dem Stadtteil im Kölner Süden war für den Preis nominiert und die beiden ehrenamtlichen Stadtteilmütter und ich als Projektkoordinatorin waren zur Preisverleihung eingeladen.

Die Anreise per Flugzeug gestaltete sich aufregend. Als eine meiner beiden Mitreisenden besonders lange vor dem Einlass warten musste, stand die Frage für mich plötzlich im Raum: Wird hier gerade eine Person aufgrund ihrer Herkunft mit höherer Aufmerksamkeit bei der Kontrolle bedacht, die heute für ihr besonderes Engagement im Bereich der Integrationsarbeit geehrt werden soll?

Der Preis wird seit 2017 jährlich an ein Projekt vergeben, das sich in besonderem Maße für die Integration von Menschen mit Fluchthintergrund einsetzt. Die beiden Vertreterinnen der  „Stadtteilmütter und –väter in Meschenich“ arbeiten mehrmals monatlich in Flüchtlingswohnheimen mit. Sie gestalten Elterncafés, bei denen sie interessierte Bewohner*innen über Familienthemen informieren, bei Übersetzungen behilflich sind und dabei mit den Heimleitungen zusammen arbeiten. Seit vier Jahren engagieren sich Beide mit Herz für ihren Stadtteil an dem Projekt, das seit 2011 besteht und seitdem viel Zuspruch erhält. Frau Ali Rasho und Frau Ramadan wissen viel über die Informationen und Hilfestellungen, die die Menschen in Unterkünften benötigen. Sie selbst haben diese Lebensphase mit ihren Familien vor mehr als zehn Jahren erlebt und sich in der Zwischenzeit grundlegend für ihre vielseitige Tätigkeit qualifiziert.

Als angenehm bodenständig, abgeklärt und gut informiert erlebte ich die Beiden – ebenso bei der Kontrolle am Flughafen Tegel wie beim gemeinsamen Spaziergang entlang des Berliner Mauer-Geschichtswegs. Das Thema deutsch-deutsche Geschichte halten beide für sehr wichtig. Sie sind der Meinung, dass man etwas darüber lernen kann, wie besonders rigide Staatsysteme funktionieren und wie man sie verändern oder überwinden kann.

Bei der Auswahl der ausgezeichneten Projekte wurde in diesem Jahr ein Schwerpunkt auf „Wertevermittlung“ gelegt. Die beiden Frauen diskutierten die Werte, die sie in ihrer Arbeit vermitteln können. Offenheit und Überwindung von Vorurteilen sind Begriffe, die ich von ihnen hörte. Aber auch, „zu seinem Wort stehen“ und „sich einsetzen, etwas tun“. Bildung sei ein wichtiger Wert. Das passt zu vielen der vorgestellten Projekte: Betriebe, die sich in besonderer Weise für Flüchtlinge einsetzen, Patenschaften zwischen Senior*innen und Flüchtlingen und eine neue, innovative Form der Vernetzung von Engagierten und Akteurinnen. Weiterlesen

Harmonie wird überschätzt

Tisch mit vielen KuchentellernMaria Hanisch, leitet im Geschäftsfeld Alter und Pflege die Stabsstelle Ethik, Seelsorge und gesundheitliche Versorgungsplanung

Mit dieser Überschrift, las ich in diesen Tagen einen interessanten Artikel von Prof. Aladin El- Malaalani. Er ist Prof. für Politikwissenschaft und politische Soziologie und arbeitet im NRW Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration.
Er befasst sich, mit seinen Äußerungen mit dem Thema Integration und deren Folgen. Seine These, Integration wird zu oft mit einen Missverständnis verbunden, nämlich der Idee von einer konfliktfreien Gesellschaft. Er schreibt: „ Wenn Integration oder Inklusion oder Chancengleichheit gelingt, wird unsere Gesellschaft nicht homogener, nicht harmonischer und nicht konfliktfreier. Nein, das Gegenteil ist viel wahrscheinlicher. Die zentrale Folge gelungener Integration ist ein erhöhtes Konfliktpotential.“
Er vergleicht unsere Gesellschaft mit einer Tischgemeinschaft bei der mehr Menschen partizipieren wollen und können, sich aktiv beteiligen und etwas vom Kuchen abbekommen wollen. Da ist die Idee von Harmonie eher naiv oder eine Projektion von Wünschen und Hoffnungen.
Er schreibt:“ gelungene Integration erhöht deshalb das Konfliktpotential, weil Inklusion, Gleichberechtigung und eine Verbesserung der Teilhabechancen nicht zu einer Homogenisierung der Lebensweisen, sondern zu einer Heterogenisierung, nicht zu mehr Harmonie und Konsens in der Gesellschaft, sondern zu mehr Dissonanz und Neuaushandlungen führt.“
Das dauerhafte Ausgeschlossensein vom Tisch steigert die Wahrscheinlichkeit für abweichendes Verhalten, für Kriminalität und Gewalt. Bei der Integration hingegen, handelt es sich um grundlegende, die Gesellschaft verändernde Konflikte

Ich finde die Gedanken von Prof. El- Malaalani spannend und kann seinem Ansatz gut folgen.
Ich frage mich: Sind wir, als Gesellschaft diesen Aushandlungsprozessen gewachsen? Sind wir bereit, mit Menschen verschiedener Herkunft und Lebensweise den Kuchen zu teilen?
Unsere Gesellschaft und das Miteinander wird weiter komplexer und dem müssen wir uns als mündige, reflektierte, konfliktbereite Menschen stellen. Eine ängstliche Abschottung und nationales Denken und Handeln wird uns dabei nicht helfen.

Im Station schwenken viele Fans Deutschlandfahnen

Integration wird nicht auf dem Fußballfeld entschieden

Die Debatte um Fußball-Nationalspieler Mesut Özil hat hohe Wellen geschlagen. Ich muss sagen: Zunächst war ich über die Heftigkeit der Reaktionen zu seinem Rücktritt überrascht. Aber beim zweiten Hinsehen war mir klar: Özil ist hier zum Spielball geworden für ein Problem, was dringend besprochen werden muss und sein Ausscheiden aus dem DFB-Team kam als Auslöser ganz passend.

Die Integration von türkischstämmigen Personen in Deutschland ist eigentlich schon Debatte, seit Türken in den 60er Jahren als Gastarbeiter hier her gekommen sind. Auch im letzten Jahrzehnt war das immer wieder Thema. Es schien langfristig schwieriger zu sein, türkischstämmige Bürger zu integrieren als beispielsweise Italiener oder Polen. Vielleicht, weil der christliche Glaube bzw. die damit verbundene Kultur in Deutschland doch heute gar nicht so unwichtig ist, wie viele Menschen denken. Der Islam und die damit verbundenen Bräuche sind vielen fremd und was fremd ist, macht Angst.

Die Debatte über Deutschtürken rückte in den Hintergrund, als die „Flüchtlingskrise“ 2015 begann. Auf einmal waren Flüchtlinge die Fremden in Deutschland und die Türken die Bekannten, die je nach politischer Stimmungslage mal mehr und mal weniger zu Deutschland gehörten. Ein größeres Thema wurden die Deutschtürken lediglich kurz bei den Parlamentswahlen 2015 in der Türkei, als die Mehrheit der stimmberechtigten Deutschtürken sich für Erdoğan aussprach. In Deutschland konnte man nicht begreifen, wie das „passieren konnte“. Für mich nicht schwer vorstellbar: Ich glaube nicht, dass sich all die Deutschtürken so tiefgehend mit dem politischen Konzept von Erdoğan beschäftigt haben (Ich mein: Welcher Deutsche liest komplette Parteikonzepte vor der Wahl?). Erdoğan ist zu einer Figur geworden für das Ernstgenommen werden; für die Anliegen der Deutschtürken. Für die, die sich nicht integriert fühlen. Für die, die keine Perspektiven für sich sehen. Und auch für die „gut integrierten“, die sich fühlen, als müssten sie sich zwischen Deutschland und der Türkei entscheiden. Und in einer gefühlt hoffnungslosen Situation seine Hoffnung auf jemanden zu legen, der gerade „was Nettes“ anbietet; das kommt uns doch auch in Deutschland bekannt vor, oder? Weiterlesen

Phantasialand – Verzichtserklärung statt Barrierefreiheit

Buntes RiesenradWie die meisten von uns, haben auch unsere Klientinnen und Klienten und alle anderen Menschen mit Behinderung große Freude an einem Besuch im Phantasialand in Brühl bei Köln. Dort gelten jetzt allerdings besondere Regelungen für „Menschen mit besonderen Einschränkungen“, die in einer Broschüre erläutert werden.

Gleich zu Beginn wird betont, dass gemäß einer geltenden DIN-Norm „ein Ausschluss von der Fahrt aufgrund von Gesundheits- oder Sicherheitsgründen nicht als Diskriminierung zählt“. Spätestens dann, wenn etwas so explizit erwähnt wird, sollte man meiner Meinung nach hellhörig werden. So wurden alle Fahrgeschäfte von einem Sachverständigenbüro darauf geprüft, für welche Behinderungsformen welche Nutzungsverbote auszusprechen sind und dass sich jeder mit dem Hinweis auf das „Selbstbestimmungsrecht“, durch eine Verzichtserklärung und eine Begleitperson, über dieses Verbot hinwegsetzen kann. Dazu ist es notwendig sich am Eingang an den Gästeservice zu wenden, dort seine Einschränkungen und seine Personalien darzulegen und die Nutzungs- und Verzichtsvereinbarung zu unterzeichnen. Mit dieser darf man dann über den normalen Eingang – unter Vorzeigen des Durchschlags – die jeweilige Attraktion nutzen. Weiterlesen

Weihnachten kommt. Weihnachten kommt?

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Weihnachten kommt in diesem Jahr so schnell…
Wir sind doch noch nicht fertig!? Baustellen überall…
Ob das unsere bundespolitische Baustelle „Regierungsbildung“ ist, ob es die Baustelle „Europa: Sein oder nicht sein?“ ist, oder die Baustelle „Menschenrecht auf Asyl“: Die Regierungen haben Schwierigkeiten, den Platz für Menschlichkeit zwischen Grenzzäunen und Lagern oder Gesetzen und Richtlinien einzubauen und aufrecht zu erhalten. Antwort: Ja, das kommt noch… Aber erst später, im Moment ist anderes wichtig! Wir wollen zuerst das Rechte (!?) tun…

Noch wackelt alles – oder es wird so statisch, dass menschliches Leben keine Rolle mehr spielt bzw. spielen kann. Vielleicht mauern wir einfach alles zu, so doch auch die Idee für den Ebertplatz. Dann haben wir jedenfalls keine Probleme mehr…
Köln ist sowieso Baustelle. Bietet Köln Raum? Für wen oder was? Und wie lange dauert das? Und wenn es dann fertig ist – hält das auch? Wir haben eine schnelllebige Zeit und Materialien werden scheinbar auch schneller alt. Der Bezirk Kalk unterscheidet sich da nicht. Die Baustellen an der Hauptstraße oder auf dem Fabrikgelände, oder im nächsten Jahr im Caritas-Zentrum Kalk… Weiterlesen

Armut, Exklusion, Wahlverhalten und Politik in Köln

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Thomas Münch/Hochschule Düsseldorf:

„Wahlbeteiligung höchst unterschiedlich…“ betitelt die Stadt Köln in ihrem Handout in einer Pressekonferenz zur Bundestagswahl 2017 die Wahlergebnisse, um dann im nächsten Kapitel zu beschreiben, wie sich diese Wahlbeteiligung zwischen 45,8 und 88,5 Prozent verortet. Die geringsten Wahlbeteiligungen findet man in den Stadtteilen Chorweiler, Vingst, Gremberghoven und Finkenberg. Die höchste in den Stadtteilen Hahnwald, Klettenberg, Lindenthal, Sülz, Lövenich und Junkersdorf.
Kölnerinnen und Kölner mit nur durchschnittlichem Interesse an ihrer Stadt können diese Stadtteile direkt zuordnen – in armen Stadtteilen gehen weniger Menschen zur Wahl als in wohlhabenden bzw. reichen. Oder, um erneut aus dem Handout des Presseamtes der Stadt zu zitieren: „Nichtwähleranteile nach wie vor hoch in sozial schwächeren Gebieten…“ (a.a.O.: 8).

Ohne an dieser Stelle weiter auf die interessante Frage einzugehen, was denn wohl das Presseamt der Stadt Köln unter „sozial schwach“ versteht, kann vermutet werden, dass hier der Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Lage und Wahlbeteiligung gemeint ist. Und so ist es auch und wird empirisch belegt: In Kölner Stadtteilen und Stadtvierteln mit einem hohen Anteil an Leistungsbeziehern nach dem Sozialgesetzbuch II (umgangssprachlich auch „Hartz IV“ genannt) kann der Anteil der Nichtwähler bis auf über 60 % steigen.

Armut – so wir denn das Leben in der Grundsicherung nach dem SGB II entsprechend dem sozialwissenschaftlichen Diskurs als Leben in Armut bezeichnen (vgl. Cremer 2017) – führt zu geringerer politischer Teilhabe in Form von Wahlbeteiligung als das Leben in ökonomischer Sicherheit oder gar im Überfluss. Der reiche Kölner im Hahnwald, so könnte man diesen Befund verkürzen, schätzt den Wert seiner Wahlstimme höher ein, als der Arme in Chorweiler. Weiterlesen

„Organisierte Nachbarschaft“ – werden  einsame Menschen in Köln weiter unterstützt?

„Kein Mensch ist so reich, dass er seine Nachbarn nicht braucht“ – so hat am 3. Juli die Oberbürgermeisterin Henriette Reker beim Festakt anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Nachbarschaftshilfen Kölsch Hätz ihre Rede angefangen. Die Arbeit dieser Initiative hat sie in ihrer Rede sehr gelobt.  Diese Wertschätzung drückt sich jedoch nicht in der Finanzierung von Kölsch Hätz durch die Stadt Köln aus. Lediglich 9% der Kosten werden durch die Stadt gedeckt. Wir fragen uns: Ist das genug?

Kurz beschrieben ist Kölsch Hätz eine Art „organisierter Nachbarschaft“, bei der ehrenamtlich Engagierte ihren einsamen oder alleinstehenden Nachbarn ein bis  zwei Mal in der Woche Zeit schenken. Koordiniert werden die aktuell etwa 600 Ehrenamtlichen von vier hauptamtlichen Mitarbeiterinnen.

„Schöne Sache!“, sagen die einen. „Bei uns im Veedel brauchen wir das nicht“, sagen die anderen. Doch nicht in allen Veedeln funktioniert die Nachbarschaft von alleine, wie es früher war. Das beweisen zahlreiche Unterstützungsanfragen, die die „Kölsch Hätzler“ bekommen. Oft braucht Nachbarschaft Organisation und Koordination Aufgaben, die man nicht dem Ehrenamt alleine überlassen kann.

Dass das ehrenamtliche Engagement nicht umsonst ist, wissen alle. Die Ehrenamtlichen werden nicht nur koordiniert, sondern auch versichert, geschult und bei allen Fragen durch hauptamtlich Mitarbeitende begleitet. Ehrenamt braucht Hauptamt – eine Selbstverständlichkeit, die nicht für alle selbstverständlich ist. Doch „Personalkosten“ wollen viele Geldgeber nicht mitfinanzieren. Die modernen Standards fordern, dass so viel Geld wie möglich in die operative Arbeit des Projektes fließt und nicht in die Verwaltung. Im Fall von Kölsch Hätz ist es die qualifizierte Organisation und Begleitung, die die operative Arbeit garantiert.

Von Jahr zu Jahr gibt es für Kölsch Hätz keine finanzielle Sicherheit. Die Initiative wird von der Caritas in Kooperation mit der Diakonie und den katholischen und evangelischen Kirchengemeinden in den Veedeln getragen. Zusammen mit den 9% der Stadt Köln tragen sie ungefähr ein Drittel der Kosten. Der Rest – immerhin zwei Drittel – muss aus Stiftungs- und Spendengeldern finanziert werden.

Doch was Kölsch Hätz leistet, ist für die Stadt wichtig und einzigartig. Kölsch Hätz übernimmt eine wichtige Aufgabe zur Verbesserung des Zusammenlebens und Zusammenstehens, was letztendlich zur Verbesserung der Lebensqualität in den Veedeln führt. Daher wieder die Frage sind 9% genug? Haben die 20 Jahre erfolgreicher Arbeit nicht bewiesen, dass dieses Modell nachhaltig und wichtig für diese Stadt ist? Sollte sich die Stadt nicht für die Menschen stärker machen, die auf Hilfe von anderen angewiesen sind? Frau Reker ist zufrieden, dass es Kölsch Hätz in Köln gibt, doch was passiert, wenn die Initiative sich nicht mehr finanzieren kann?

Diese Fragen werden wir der Stadt Köln weiter stellen. Und wir hoffen, dass sich die hohe Wertschätzung irgendwann in regelmäßiger und verbindlicher finanzieller Unterstützung ausdrückt.

Bis dahin ist die Initiative weiterhin auf Spenden angewiesen. Jeder kann Kölsch Hätz unterstützen. Mit einer regelmäßigen Spende schenkt man der Nachbarschaft in Köln zusätzlich ein bisschen Sicherheit für die Zukunft! http://caritas.erzbistum-koeln.de/koeln-cv/ueber_uns/fundraising_neu/Projekte/

Ein Gastbeitrag von Darya Karpitskaya, Stab Fundraising

Wer die Wahl hat, hat die Qual!

Noch 17 Tage, dann findet die Wahl zum 19. Deutschen Bundestag statt. In den vier Kölner Wahlkreisen sind die über 731.000 Kölner Wahlberechtigten aufgefordert, ihre Stimmen abzugeben. Jeder Zweite ist sich heute noch nicht sicher, wem er am Wahlsonntag seine Stimmen geben soll. Eine Richtschnur kann dabei die Frage sein, wie die Kandidatinnen und Kandidaten zu den Themen stehen, die mir persönlich wichtig sind.

Bei den katholischen Verbänden und Institutionen sind die Positionen zu sozialpolitischen Themen wichtig. Wie können wir eine solidarische Arbeitsmarktpolitik gestalten, die Arbeitslosigkeit bekämpft, ein Existenzminimum und Teilhabe sichert? Wie muss eine menschliche Flüchtlingspolitik aussehen, die ermöglicht, Schutzbedürftige aufzunehmen und Zusammenhalt in der Einwanderungsgesellschaft zu fördern? Wie schaffen wir eine gerechte Finanzpolitik, die auch künftigen Generationen Spielräume lässt und die Lasten zwischen Bund, Ländern und Kommunen gleichmäßiger verteilt?
Um auf diese Fragen Antworten zu erhalten, hatten Kath. Bildungswerk, Caritas für Köln, Katholikenausschuss und Stadtdekanat Vertreter von CDU, SPD, FDP, Linke und Grüne zu einem öffentlichen Gesprächsforum in der vergangenen Woche eingeladen.
Auch wenn die noch unentschlossenen Wählerinnen und Wähler oftmals anführen, dass die Positionen der Parteien austauschbar und wenig unterscheidbar scheinen, gab es in der Diskussion im Domforum abseits der klassischen und naheliegenden parteipolitischen Annäherungen auch deutliche Differenzierungen:
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Auf dem Weg zur Inklusion

Rund 60 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 7 und 14 Jahren tummeln sich während „Ferien zu Hause“ in den Sommerferien im Kinder- und Jugendzentrum GOT Elsaßstraße. Die Kids haben die verschiedensten Hintergründe: Manche kommen aus dem Veedel, manche von weiter weg, einige sind in Köln geboren, andere haben eine Fluchtbiographie und sind grade erst in Köln angekommen. Als wir vor drei Jahren eine Kooperation mit der Lebenshilfe starteten, sodass auch Kinder und Jugendliche mit Behinderung bei „Ferien zu Hause“ teilnehmen konnten, wurde die Gruppe noch vielfältiger.

Natürlich musste das Ferienprogramm auf die speziellen Bedürfnisse angepasst werden, Ausflüge mussten verändert, oder Alternativen angeboten werden, Tagesabläufe anhand von Piktogrammen dargestellt werden, wir brauchten „Ruheräume“. Wir waren ja nun richtig inklusiv! Aber waren wir das auch? Nein, zugegebenermaßen am Anfang nicht. Es war ein Nebeneinander. Die Kinder mit Behinderung hatten zwar eine durch die Lebenshilfe organisierte 1:1 Betreuung und es fanden verschiedene Vortreffen statt, aber für viele Mitarbeitende der GOT war die Arbeit und der Umgang mit behinderten Kindern neu. Und ja, es gab Berührungsängste, das Gefühl etwas falsch machen zu können, sodass im ersten eigentlich „inklusiven Ferienprogramm“ ein Nebeneinander entstand. Die Lebenshilfe kümmerte sich um „ihre Kids“ und das GOT-Team kümmerte sich um „die anderen“.

Die 60 Kids schien das alles überhaupt nicht zu interessieren. Weiterlesen