„Wir kämpfen für die Rettung der sozialen Infrastruktur!“

Die Angebote und Dienste der Caritas Köln werden durch kommunale, Landes- oder Bundesmittel finanziert. Bei allen drei Finanzierungsquellen zeigen sich momentan Entwicklungen, die die Träger sozialer Dienste vor enorme Herausforderungen stellen: Erhebliche Kürzungen in den Haushaltsplanungen 2024 auf Landes- und Bundesebene und eine nicht-auskömmliche Refinanzierung auf kommunaler Ebene. Und dies in Zeiten, in denen Träger extremen Mehrbelastungen durch tarifbedingte Personalkostenerhöhungen und inflations- und krisenbedingt stark gestiegene Sachkosten ausgesetzt sind!

In Köln sind die Träger mit der folgenden Situation konfrontiert: Im derzeit geltenden Doppelhaushalt 2023/2024 der Stadt Köln sind die Kostensteigerungen nicht eingeplant. Sie können über den sog. Strukturförderfonds der Stadt Köln nur anteilig kompensiert werden. Auch wenn im Haushalt 2024 erneut die Mittel des Strukturförderfonds zur Verfügung stehen, reichen diese bei Weitem nicht aus, um die Kostensteigerungen im Jahr 2024 nur ansatzweise abfedern zu können. Die aktuellen Förderungen sind demnach von den tatsächlichen Kostensteigerungen entkoppelt!

Die Kombination aus Finanzierungsproblemen und gleichzeitig akuter Personalnot führt Träger und Einrichtungen in eine dramatische Lage. Zu erwarten sind die Reduzierung von Öffnungszeiten, die Schließung von Angeboten und drohende Insolvenzen. Die Situation ist fatal, insbesondere für die Bürgerinnen und Bürger, die eine stabile soziale Infrastruktur mit ihren vielfältigen Angeboten dringend benötigen und auf sie setzen!

Die derzeitige Lage ist nicht „hausgemacht“, sondern betrifft alle Träger der freien Wohlfahrt. Laut einer aktuellen Befragung der Diakonie in Nordrhein-Westfalen rechnen beispielsweise vier von fünf Trägern mit negativen Jahresergebnissen und jeder dritte Träger rechnet mit einem Liquiditätsengpass. Zudem erwarten viele Träger Angebotsreduktionen, Zahlungsunfähigkeiten bis hin zu Insolvenzen. Dazu die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (LAG FW NRW): „Die Rahmenbedingungen waren schon in der Vergangenheit selten auskömmlich, sind nun aber endgültig untragbar!“

In der Trägerlandschaft herrscht durch diese Umstände eine hohe Verunsicherung. Diese Sorge strahlt auch auf die Beschäftigten aus. Aus diesem Grund ist der Caritasverband in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (LIGA, LAG) politisch aktiv und befindet sich in Gesprächen mit Ratsmitgliedern der Stadt Köln sowie mit Kölner Abgeordneten des Landtags und des Bundestages. Zudem beteiligt sich der Caritasverband an der Kampagne „NRW bleib sozial“ der LAG FW NRW. Im Rahmen der Kampagne hat bereits eine große Kundgebung vor dem Düsseldorfer Landtag am 19.10.2023 stattgefunden. Am 08.11.2023 hat die LIGA Köln zudem eine Mahnwache vor dem Kölner Rathaus organisiert.

Da es nach wie vor keine konkreten Entscheidungen gibt (Stand Ende November 2023), hat die LIGA eine für die Freie Wohlfahrt in Köln historische Protestaktion initiiert. Am 28. und 29.11. blieben mehr als 500 soziale Einrichtungen geschlossen. Höhepunkt der Protestaktion war eine Demonstration mit deutlich mehr als 8.000 Menschen durch die Kölner Innenstadt.

Wir setzen uns dafür ein, dass Politik und Verwaltung jetzt handeln, um soziale Angebote in Köln und Nordrhein-Westfalen zu sichern und eine qualitativ hochwertige soziale Arbeit aufrechtzuerhalten.

Peter Krücker/Caritas-Vorstand und Raphael Kösters/Vorstandsreferent

Queere Pflege im Alter in der Caritas Köln

Weithin sichtbar wehen Regenbogenfahnen vor den Caritas-Altenzentren in Ehrenfeld und Rodenkirchen. In diesen zwei von insgesamt sieben Pflegeeinrichtungen in Köln legt die Caritas einen besonderen Schwerpunkt auf queere Pflege. „Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ausgegrenzt wurden oder das nicht offen leben konnten, werden im Alter oft von schmerzhaften Erinnerungen eingeholt. In unseren Altenzentren leben viele queere Menschen. Die meisten scheuen sich aber immer noch, sich gegenüber Mitbewohner*innen zu offenbaren. Sie fürchten, erneut abgelehnt zu werden.“ sagt Ulrich Schwarz, Leiter Leistungsbereich Stationäre Pflege in der Caritas. Gemeinsam mit Kolleg*innen hat er einen Leitfaden „Queere Pflege im Alter“ (Link zum Nachlesen: https://bit.ly/3PKEe3L) erstellt, in dem Standards für alle Mitarbeitenden, Bewohner*innen, Angehörige und Interessierte nachzulesen sind und das bedingungslose Eintreten der Caritas für Vielfalt beschrieben ist. Als direkte Ansprechpartner*innen gibt es in den Altenzentren Diversitäts-Beauftragte für alle Themen und Fragen der Bewohner*innen und Angehörigen.

Eines der regelmäßigen Angebote ist ein „Senioren-Stammtisch für Queere und Freunde“ mit Filmen, Disco, Kunstausstellungen und Austausch. „Queere Menschen sollen bei uns in den Pflegeeinrichtungen einen sicheren Raum finden, in dem sie ohne Angst vor Diskriminierung ihr Leben gestalten und an der Gesellschaft teilhaben können.“ so Schwarz. „Und für alle in der Stadt sichtbar, haben wir uns für Menschenrechte und Vielfalt bei der diesjährigen CSD-Parade eingesetzt.“ 170 haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende aus der Pflege, Angehörige und Bewohner*innen der Altenzentren sind mitgegangen.

Auch Markus R. (79, Name geändert), der seit 4 Jahren im Rodenkirchener Altenzentrum St. Maternus lebt, war dabei: „Es war heiß und anstrengend, aber das waren liebe Leute, die uns zugejubelt haben. So viele Menschen habe ich noch nie gesehen.“
Er schätzt die verständnisvollen Gespräche, die er regelmäßig mit einem Mitarbeiter der Sozialen Betreuung im Altenzentrum führt. „Es tut mir gut, mit jemandem über meine Erinnerungen reden zu können. Ich muss nicht mehr verstecken, dass ich Beziehungen zu Männern hatte.“

Leonardo Martinez (89) Vorsitzender des Heimbeirats in St. Maternus begrüßt die „Queere Pflege“: „Die Regenbogenfahne, die Teilnahme am CSD, die Plakate zum Queeren Seniorenabend, all das hilft, dass sich die Menschen trauen und sich öffnen. Schließlich ist das hier ja eine Vorstufe, der Tod ist uns so nah. Da ist es wichtig, dass Wunden der Vergangenheit angesprochen werden und heilen können. Grundsätzlich funktioniert ein Zusammenleben im Altenzentrum nur mit sehr viel Toleranz, das ist für mich eine wichtige Grundlage.“

Ulrich Schwarz räumt ein, dass der eingeschlagene Weg, „Queere Pflege im Alter“, nicht allen in einem katholischen Wohlfahrtsverband wie der Caritas gefällt. „Es gibt natürlich auch konservative Menschen unter den Bewohner*innen und Mitarbeitenden, die sich bewusst für ein Haus der Caritas entschieden haben und Probleme im Umgang mit queeren Mitbewohner*innen haben. Wir haben gerade erst mit diesem Prozess angefangen, es braucht Zeit und Überzeugungsarbeit, um bei allen Verständnis zu wecken.“

Heute ist es wichtig, um gesellschaftliche Akzeptanz für „Queere Pflege im Alter“ zu werben. Das Klima wird rauer, homophobe Einstellungen und Hass-Kommentare haben nicht nur auf Social Media Konjunktur. Auch innerhalb der Kirche sorgt der Umgang mit queeren Menschen zu vielen Diskussionen und auch immer wieder für Schlagzeilen. Bereits seit vielen Jahren geht die Kölner Caritas mit ihrer offenen Haltung an die Öffentlichkeit. Die Broschüre „Wir leben Vielfalt“ (Link zur Broschüre: https://shorturl.at/ehDIU) macht eindeutig klar, dass alle Menschen als Mitarbeitende, Bewohner*innen, Klient*innen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und Herkunft in der Caritas willkommen sind. Bei der Bewegung #Out in Church, in der sich queere Mitarbeitende für eine Kirche ohne Angst einsetzen, war die Caritas unter den Erstunterzeichnenden.

Marianne Jürgens/Leitung Öffentlichkeitsarbeit

Harald ist tot.

In Nippes war Harald (62) überall bekannt. Mit seinem Plüschtier „Bernie“ im Arm war er immer vor seiner Haustür anzutreffen.
Die Nachricht von seinem plötzlichen Tod im Krankenhaus hat seine Nachbarschaft in Nippes sehr bewegt. An seinem Wohnhaus ist eine kleine Gedenkstätte mit Blumen und Kerzen entstanden. Sogar ein Brief und eine Zigarre kleben an der Hauswand. Express und der Kölner Stadt-Anzeiger berichteten.

Auch Frank Schomaker und Roman Weyers, Leiter des Begleiteten Wohnens im Kölner Caritasverband, und seine Kolleg*innen trauern um ihn. 13 Jahre haben Schomaker und weitere Mitarbeitende Harald viermal in der Woche besucht und in lebenspraktischen Dingen unterstützt. Unzählige Gespräche gehörten dazu. Manchmal waren seine sozialen Kontakte Thema, und wie Reaktionen und alltägliche Erlebnisse richtig einzuordnen sind. Mit einer zusätzlichen Rechtlichen Betreuung des SKM zur Geldeinteilung, dem Pflegedienst und der hauswirtschaftlichen Unterstützung vom Caritasverband gelang es Harald, selbstständig in seiner eigenen Wohnung zu leben.
Auf dieses Ziel hatte er lange hingearbeitet. Vorausgegangen war eine Odyssee als Jugendlicher durch verschiedene Jugendhilfeeinrichtungen. Als Erwachsener lebte er viele Jahre im Caritas-Wohnhaus Gut Pisdorhof für Menschen mit geistiger Behinderung.

„Harald hatte Strahlkraft, er war ein absolut empathischer Mensch, der ohne Scheu auf die Menschen zugegangen ist und sie auf der Straße persönlich begrüßt hat. Manche haben sich auf ein Gespräch mit ihm eingelassen und so auch mal einen anderen Blick auf einen besonderen Menschen bekommen.“ beschreibt Schomaker seinen Klienten.

Meistens wird in der Begleitung eines Klienten nach ein paar Jahren intern gewechselt. Die Dauer von 13 Jahren, in denen Schomaker die Fachleistungsstunden bei Harald übernommen hat, sind eher die Ausnahme. „Eine professionelle Distanz zu wahren, ist wichtig, um wirklich gut helfen zu können“, sagt Schomaker. „Aber es geht ja immer um die direkte Arbeit mit Menschen, und natürlich entsteht eine Beziehung. Die Klient*innen wachsen mir und meinen Kolleg*innen auch ans Herz. Wenn jemand verstirbt, bedeutet das für uns ebenfalls Trauerarbeit und Loslassen. Haralds Tod hat mich und uns zum Nachdenken gebracht. Wir planen in unserem Team eine Abschiedsfeier für ihn“, erzählt Schomaker. „Im Caritasverband gibt es für uns Mitarbeitende den Kollegen Tim Schlotmann für Seelsorge. Mit ihm konnte ich über alles sprechen. Er wird den Abschied von Harald mitgestalten.“

Frank Schomaker (Foto links) leitet gemeinsam mit seinem Kollegen Roman Weyers (rechts) das Begleitete Wohnen (WiV) der Caritas.

Zurzeit werden 75 Personen von 18 bis rund 60 Jahre und sehr unterschiedlichem Hilfebedarf mit jeweils durchschnittlich drei Fachleistungsstunden in der Woche unterstützt. Im Team Begleitetes Wohnen arbeiten 21 Personen (Heilerziehungspfleger*innen, Sozialarbeiter*innen und studentische Mitarbeitende). Die Hilfe umfasst alltagspraktische Themen, aber auch Termine beim Amtsgericht, Begleitung zu Ärzt*innen und Gespräche zur „Psychohygiene“.
„Gemeinsam erstellen wir Hilfepläne und legen Ziele fest. Unsere Arbeit wird nie langweilig. Wie haben es schließlich mit sehr unterschiedlichen und besonderen Menschen und ihren ganz persönlichen Anliegen zu tun. Ich liebe an meiner Arbeit vor allem, dass sie so abwechslungsreich ist.“ meint Schomaker.

Weitere Informationen zum Begleiteten Wohnen der Caritas Köln gibt es unter diesem Link: https://shorturl.at/tX256

Marianne Jürgens/Leitung Öffentlichkeitsarbeit

Mit Caritas international in Tadschikistan

18 Caritas-Mitarbeitende aus ganz Deutschland auf Projektreise mit Caritas international in Tadschikistan: Als wir am ersten Abend nach Ankunft  durch die tadschikische Hauptstadt Dushanbe spazieren, können wir uns noch gar nicht vorstellen, dass Tadschikistan eines der ärmsten Länder unter den ehemaligen Sowjetrepubliken ist. Die repräsentativen Bauten in der Nähe des Präsidentenpalastes bilden einen Kontrast zur Armut und dem Unterstützungsbedarf , die wir in den nächsten Tagen bei Hausbesuchen erleben.

Einladung zum Tee bei Mashhura zuhause

In Vahdat, 30 km von Dushanbe entfernt, besuchen wir die 25-jährige Mashhura, sie hat von Geburt an eine schwere Zerebralparese. Hier empfängt uns die Großfamilie mit offenen Armen und lädt uns zum Tee ein.  Mashhura freut sich über unseren Besuch und strahlt uns an. Niso, ihre alleinerziehende Mutter, erzählt von den schweren ersten Jahren. Kinder mit Behinderung werden oft zu Hause versteckt. Es fehlt das Wissen, sie zu fördern und sie so zu akzeptieren, wie sie sind. Niso erfuhr vom Projekt der Caritas-Partnerorganisation Durakshon, als ihre Tochter 11 Jahre alt war. Mit Hilfe der Rehabilitation und Förderung lernte Mashhura während des Projektes viele Alltagskompetenzen wie Waschen und Anziehen. Das Projekt stellte auch den Kontakt zu einem Privatlehrer her, der Mashhura mit staatlicher Finanzierung bis zur 9. Klasse mit einem vereinfachten Programm zuhause unterrichtete.
Für ihre Mutter Niso war das von Caritas international geförderte Projekt die große Chance. Sie fand aus ihrer Depression und Ohnmacht heraus, absolvierte alle angebotenen Schulungen. Inzwischen ist sie selbst Sozialarbeiterin und koordiniert die Soziale Arbeit mit Kindern mit Behinderung und auch Senioren als stellvertretende Leiterin der NGO Durakhshon. „Eltern sind die größte Stütze für die Rehabilitation. Ich zeige den Familien, wie sie mit solchen Kindern richtig umgehen, sie fördern, mit ihnen unter die Leute gehen und in Kontakt kommen.“ sagt sie.
Wenn die Kinder 18 werden, endet die Projektförderung. Danach haben sie kaum eine Perspektive. Auch Niso ist beim Blick in die Zukunft für ihre Tochter bedrückt und ratlos. Mashhura hat noch Glück und den Rückhalt in der Großfamilie. Als gelernte Physiotherapeutin unterstützt die Großmutter ihre Enkeltochter mit Übungen. Und die Familie macht mit ihr Ausflüge und fördert ihre Interessen wie Musik und Malen.

Ibrohimek hat ein Start up für Handy-Reparatur gegründet.

Ortswechsel: Parvina Tadjibaeva, Leiterin des Länderbüros Caritas Deutschland in Tadschikistan ist sich der Problematik für junge Erwachsene mit Behinderung bewusst. Ausgehend von einem Sozialzentrum der Gemeinde in einem Bergdorf in Ayni hat die Caritas neben der Förderung von Familien mit Kindern mit Behinderung auch ein Programm für junge Erwachsene mit Handicaps aufgelegt. Nach Workshops, die zur Gründung von Kleinunternehmen befähigen, waren 78 junge Menschen eingeladen, ihre Start up-Ideen zu präsentieren. 10 von ihnen wurden ausgewählt und finanziell bei der Gründung unterstützt. Einer von ihnen ist Ibrohimek, der sehbehindert ist. Er repariert Handys. Inzwischen leitet er auch eine Dependance der örtlichen Telefongesellschaft: „Ohne die Förderung hätte ich keine Perspektive gehabt. Jetzt bin sehr zufrieden und stolz, meine Geschäfte laufen gut.“

Parvina Tadjibaeva, Leiterin des Länderbüros von Caritas Deutschland in Tadschikistan

Parvina Tadjibaeva (Leiterin des DCV-Länderbüros in Tadschikistan), organisiert für uns nicht nur die Kontakte zu den sozialen Projekten. Sie bringt uns auch das Leben hier näher, die Kultur, die Gewohnheiten, das Essen …
Wir sind berührt von der Gastfreundlichkeit, und wie warmherzig und offen alle Menschen zu uns sind, denen wir begegnen.

Gastfreundschaft: Einladung zum traditionellen Essen

Eine Sozialarbeiterin lädt unsere gesamte Gruppe zu einem wunderbaren Festessen mittags bei ihrer Familie ein. Und nicht nur das. Nach dem gemeinsamen Essen des erfrischenden Traditionsgerichtes Kurutob mit selbst gebackenem Brot darf das traditionelle Tänzchen nach dem Essen nicht fehlen, das alle strahlen lässt.

Nationalgericht Palov

Abends öffnet ein weiterer Kollege sein Haus für uns, verwöhnt uns mit köstlichem Palov und lädt einen Musikerfreund aus St. Petersburg, der für uns auf der Gitarre spielt.


Einblicke in die Seniorenarbeit:
Im Zentrum der NGO Durakhshon tagt der Seniorenclub. Ältere Frauen und Männer, die Jahrzehnte noch in Zeiten der Sowjetrepublik gearbeitet haben und viele Kompetenzen mitbringen, kommen hier zusammen. Da sind der Theater-Musiker, der Arzt und Therapeut, der lange Jahre eine Klinik leitete, die Druckerin, die Physiotherapeutin und eine Seidenraupenzüchterin. In wöchentlichen Treffen bereiten sie ein Projekt mit dem Ziel einer besseren Integration älterer Menschen in die Gesellschaft vor. 2024 wird es starten und ist von Caritas Deutschland finanziert. Die Senior*innen überlegen, welche Freizeitaktivitäten ankommen und womit sich andere ältere Menschen aktivieren lassen. Das können gemeinsames Nähen, Backen, Schach, Gymnastik und Tanzen sein.

Seniorenclub im Tageszentrum der Caritas-Partnerorganisation Durakhshon

Im Austausch werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der sozialen Arbeit deutlich. Die Projektidee ist sehr ähnlich wie die SeniorenNetzwerke in Köln. Ich berichte von der Nachbarschaftshilfe Kölsch Hätz, die der großen Einsamkeit älterer Menschen in der Stadt entgegenwirkt. Die Seniorinnen und Senioren können nicht verstehen, dass Nachbarschaftshilfe wie bei uns in Deutschland gesteuert werden muss. In Tadschikistan ist es selbstverständlich, dass sich Nachbarn umeinander kümmern und täglich nach einem schauen. Und selbst wenn Kinder wegen der Arbeit migrieren, bleibt immer noch ein Kind zuhause, um den alten Eltern zu helfen. Wenn das nicht möglich ist, wird täglich per Video mit den Kindern im Ausland telefoniert.

Begegnungen im Pflegeheim Batosh

 

 

 

 

 

 

Besuch des staatlichen Pflegeheims „Batosh“ in Tursunzade: Hier leben rund 220 ältere Menschen und Erwachsene mit Behinderung jeden Alters, aber auch Menschen, die von Obdachlosigkeit bedroht waren. Ihnen stehen Einzelzimmer oder als Ehepaare Doppelzimmer zu Verfügung. Zusätzlich sichert ein eigener landwirtschaftlicher Betrieb die Selbstversorgung des Hauses mit Lebensmitteln. Caritas fördert Schulungsprogramme des Personals in Rehabilitationsmaßnahmen, u.a. Physiotherapie. Im Gespräch erzählen uns die Bewohner*innen ihre Lebensgeschichten und wie sie ihre Zeit verbringen. Der Direktor führt uns durchs Haus und ist stolz auf die Komplettversorgung der Menschen. Ein russisches Ehepaar ist nach dem Bürgerkrieg wohnungslos geworden. Bereits mit 50 Jahren sind sie daraufhin in Batosh untergebracht worden. Gerne hätten sie noch gearbeitet, aber das war nicht erlaubt. Jetzt ziehen sich die Tage ohne Beschäftigung in die Länge. Auch die Unterbringung der jungen Erwachsenen mit Behinderung werfen bei uns Fragen auf. Wir sprechen mit einer jungen schwangeren Frau. Sie hat bereits eine sechsjährige Tochter, die bei ihrer Schwester aufwächst, so wird es auch beim nächsten Kind sein. Die Kinder dürfen nicht bei ihr im Heim leben.

„Tadschikistan – wo liegt das eigentlich?“
Diese Frage wird mir immer wieder gestellt. Ein paar Fakten zum Land: Tadschikistan grenzt an China, Afghanistan, Usbekistan und Kirgistan. Die Hauptstadt Dushanbe, Sitz des Präsidenten, ist mit einer Million Einwohner*innen so groß wie Köln (Gesamteinwohnerzahl: 8 Millionen). Dushanbe schillert, blinkt und strahlt in seiner opulenten Pracht.

Prunkvolles Großes Teehaus in Dushanbe

Fahrt durchs Hochgebirge

Auch wenn die Prunkbauten in der Hauptstadt es nicht vermuten lassen: Tadschikistan ist das ärmste Land unter den ehemaligen Sowjetrepubliken, nach einem Bürgerkrieg ist das Land seit 1991 unabhängig und eine Präsidiale Republik unter Präsident Rahmon. Im Stadtbild ist er mit seinem Konterfei an vielen Gebäuden omnipräsent.
Einen Kontrast bilden die Überlandfahrten durch hohe, karge Berge. 93 % der Fläche ist Gebirge. Auf den Autostraßen laufen immer wieder Ziegen und Kühe.  Tadschiken ziehen mit ihren Lasteneseln vorbei. Wir besuchen Bergdörfer, in denen nicht alle Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser hatten und jetzt mit einem Quellwassersystem dank Spendengeldern von Caritas international Abhilfe geschaffen wird.

Ein großes Problem in Tadschikistan ist die Arbeitsmigration. Viele junge Menschen finden keine berufliche Perspektive. Ein Drittel der jungen Erwerbstätigen geht als Arbeitsmigranten überwiegend nach Russland. Familien zerbrechen, es gibt mehr allein lebende, einsame ältere Menschen, die mit ihrer niedrigen Rente ihr Leben nicht finanzieren können.

NGO’s versuchen, mit Pilotprojekten dagegen zu steuern: Nicht nur junge Erwachsene mit Handicap erhalten die Chance durch Spendengelder, ein kleines Geschäft zu gründen. Auch die NGO Zumrad fördert junge Erwachsene, vor allem Waisen, mit Unterstützung der Caritas, ein Start up zu gründen und sie so im Land zu halten.

Austauschtreffen mit Caritas-Kolleg*innen aus Tadschikistan im Caritas-Büro in Dushanbe

Expertenaustausch: Thema ist der Aufbau einer Struktur sozialer, pflegerischer und medizinischer Berufe in Tadschikistan mit den Caritas-Kolleg*innen vor Ort. Wir verstehen im Laufe der Diskussion, wie sehr sich die Berufsbilder mit Ausbildungswegen in Deutschland von den bestehenden in Tadschikistan unterscheiden. Das zeigt sich u.a. beim Verständnis von Sozialer Arbeit. Sozialarbeiterinnen in Tadschikistan haben nicht wie in Deutschland ein Studium absolviert sondern sind ungelernte Kräfte, deren Hilfe Haushaltstätigkeiten wie Putzen, Kochen, Einkaufen umfasst. Caritas legt daher Schulungsprogramme auf, um die Mitarbeitenden der staatlichen Organisationen zu  qualifizieren. Auch wenn das Fachwissen bei den Sozialarbeiterinnen noch fehlt: Was wir vor allem bei unseren Hausbesuchen mitnehmen und bei uns in Deutschland oft fehlt, ist die große Warmherzigkeit, die die Mitarbeitenden den älteren, kranken Menschen entgegenbringen. Sie nehmen sie in den Arm, trösten sie, hören ihnen zu, sind einfach für sie da.

Tanzen geht immer.

Erfüllt von den vielen Begegnungen und Eindrücken geht es nach acht Tagen wieder nach Hause. Wenn ich an die Menschen und ihre Gastfreundschaft denke, geht mir immer wieder das Herz auf. Das sind viele Erinnerungen, beispielsweise an den Bewohner eines armen Bergdorfes, der aus Dankbarkeit für die Caritas-Unterstützung ein Schaf für uns schlachten möchte, an die vielen freundlichen Menschen mit ihrer Hilfsbereitschaft, egal wo wir hinkommen.
Und was Parvina mit ihrem Team von insgesamt 10 Mitarbeitenden, ausgehend vom Caritas-Büro in Dushanbe in Tadschikistan und länderübergreifend leistet, ist einfach großartig. Sie erkennen den Bedarf an sozialer Arbeit und Unterstützung, entwickeln die passenden Konzepte und setzen sie mit großem diplomatischem Geschick auch in Kooperation mit staatlichen Stellen und dank eines breiten Netzwerkes um.

Für diese wichtige Arbeit sind Spenden immer willkommen:
Caritas international
IBAN: DE88 6602 0500 0202 0202 02
BIC: BFSWDE33KRL
Bank für Sozialwirtschaft Karlsruhe

Marianne Jürgens/Öffentlichkeitsarbeit Caritasverband Köln

Ausgezeichnet als Leuchtturmprojekt beim Nationalen Integrationspreis: „Stadtteilmütter und -väter in Köln-Meschenich“

Katja Hendrichs, Leiterin des Caritas-Zentrums Köln-Meschenich, berichtet von ihrer Reise mit zwei ehrenamtlich engagierten Stadtteilmüttern zur Preisverleihung nach Berlin:

Nasrin Ramadan und Nida Ali Rasho bei der Verleihung des Nationalen Integrationspreises im Bundeskanzleramt Berlin

Am 29.10.2018 bin ich mit zwei Vertreterinnen der „Stadtteilmütter und –väter in Köln-Meschenich“ zur Verleihung des Nationalen Integrationspreises der Bundeskanzlerin nach Berlin gereist. Das Sozialprojekt aus dem Stadtteil im Kölner Süden war für den Preis nominiert und die beiden ehrenamtlichen Stadtteilmütter und ich als Projektkoordinatorin waren zur Preisverleihung eingeladen.

Die Anreise per Flugzeug gestaltete sich aufregend. Als eine meiner beiden Mitreisenden besonders lange vor dem Einlass warten musste, stand die Frage für mich plötzlich im Raum: Wird hier gerade eine Person aufgrund ihrer Herkunft mit höherer Aufmerksamkeit bei der Kontrolle bedacht, die heute für ihr besonderes Engagement im Bereich der Integrationsarbeit geehrt werden soll?

Der Preis wird seit 2017 jährlich an ein Projekt vergeben, das sich in besonderem Maße für die Integration von Menschen mit Fluchthintergrund einsetzt. Die beiden Vertreterinnen der  „Stadtteilmütter und –väter in Meschenich“ arbeiten mehrmals monatlich in Flüchtlingswohnheimen mit. Sie gestalten Elterncafés, bei denen sie interessierte Bewohner*innen über Familienthemen informieren, bei Übersetzungen behilflich sind und dabei mit den Heimleitungen zusammen arbeiten. Seit vier Jahren engagieren sich Beide mit Herz für ihren Stadtteil an dem Projekt, das seit 2011 besteht und seitdem viel Zuspruch erhält. Frau Ali Rasho und Frau Ramadan wissen viel über die Informationen und Hilfestellungen, die die Menschen in Unterkünften benötigen. Sie selbst haben diese Lebensphase mit ihren Familien vor mehr als zehn Jahren erlebt und sich in der Zwischenzeit grundlegend für ihre vielseitige Tätigkeit qualifiziert.

Als angenehm bodenständig, abgeklärt und gut informiert erlebte ich die Beiden – ebenso bei der Kontrolle am Flughafen Tegel wie beim gemeinsamen Spaziergang entlang des Berliner Mauer-Geschichtswegs. Das Thema deutsch-deutsche Geschichte halten beide für sehr wichtig. Sie sind der Meinung, dass man etwas darüber lernen kann, wie besonders rigide Staatsysteme funktionieren und wie man sie verändern oder überwinden kann.

Bei der Auswahl der ausgezeichneten Projekte wurde in diesem Jahr ein Schwerpunkt auf „Wertevermittlung“ gelegt. Die beiden Frauen diskutierten die Werte, die sie in ihrer Arbeit vermitteln können. Offenheit und Überwindung von Vorurteilen sind Begriffe, die ich von ihnen hörte. Aber auch, „zu seinem Wort stehen“ und „sich einsetzen, etwas tun“. Bildung sei ein wichtiger Wert. Das passt zu vielen der vorgestellten Projekte: Betriebe, die sich in besonderer Weise für Flüchtlinge einsetzen, Patenschaften zwischen Senior*innen und Flüchtlingen und eine neue, innovative Form der Vernetzung von Engagierten und Akteurinnen. Weiterlesen

Harmonie wird überschätzt

Tisch mit vielen KuchentellernMaria Hanisch, leitet im Geschäftsfeld Alter und Pflege die Stabsstelle Ethik, Seelsorge und gesundheitliche Versorgungsplanung

Mit dieser Überschrift, las ich in diesen Tagen einen interessanten Artikel von Prof. Aladin El- Malaalani. Er ist Prof. für Politikwissenschaft und politische Soziologie und arbeitet im NRW Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration.
Er befasst sich, mit seinen Äußerungen mit dem Thema Integration und deren Folgen. Seine These, Integration wird zu oft mit einen Missverständnis verbunden, nämlich der Idee von einer konfliktfreien Gesellschaft. Er schreibt: „ Wenn Integration oder Inklusion oder Chancengleichheit gelingt, wird unsere Gesellschaft nicht homogener, nicht harmonischer und nicht konfliktfreier. Nein, das Gegenteil ist viel wahrscheinlicher. Die zentrale Folge gelungener Integration ist ein erhöhtes Konfliktpotential.“
Er vergleicht unsere Gesellschaft mit einer Tischgemeinschaft bei der mehr Menschen partizipieren wollen und können, sich aktiv beteiligen und etwas vom Kuchen abbekommen wollen. Da ist die Idee von Harmonie eher naiv oder eine Projektion von Wünschen und Hoffnungen.
Er schreibt:“ gelungene Integration erhöht deshalb das Konfliktpotential, weil Inklusion, Gleichberechtigung und eine Verbesserung der Teilhabechancen nicht zu einer Homogenisierung der Lebensweisen, sondern zu einer Heterogenisierung, nicht zu mehr Harmonie und Konsens in der Gesellschaft, sondern zu mehr Dissonanz und Neuaushandlungen führt.“
Das dauerhafte Ausgeschlossensein vom Tisch steigert die Wahrscheinlichkeit für abweichendes Verhalten, für Kriminalität und Gewalt. Bei der Integration hingegen, handelt es sich um grundlegende, die Gesellschaft verändernde Konflikte

Ich finde die Gedanken von Prof. El- Malaalani spannend und kann seinem Ansatz gut folgen.
Ich frage mich: Sind wir, als Gesellschaft diesen Aushandlungsprozessen gewachsen? Sind wir bereit, mit Menschen verschiedener Herkunft und Lebensweise den Kuchen zu teilen?
Unsere Gesellschaft und das Miteinander wird weiter komplexer und dem müssen wir uns als mündige, reflektierte, konfliktbereite Menschen stellen. Eine ängstliche Abschottung und nationales Denken und Handeln wird uns dabei nicht helfen.

Im Station schwenken viele Fans Deutschlandfahnen

Integration wird nicht auf dem Fußballfeld entschieden

Die Debatte um Fußball-Nationalspieler Mesut Özil hat hohe Wellen geschlagen. Ich muss sagen: Zunächst war ich über die Heftigkeit der Reaktionen zu seinem Rücktritt überrascht. Aber beim zweiten Hinsehen war mir klar: Özil ist hier zum Spielball geworden für ein Problem, was dringend besprochen werden muss und sein Ausscheiden aus dem DFB-Team kam als Auslöser ganz passend.

Die Integration von türkischstämmigen Personen in Deutschland ist eigentlich schon Debatte, seit Türken in den 60er Jahren als Gastarbeiter hier her gekommen sind. Auch im letzten Jahrzehnt war das immer wieder Thema. Es schien langfristig schwieriger zu sein, türkischstämmige Bürger zu integrieren als beispielsweise Italiener oder Polen. Vielleicht, weil der christliche Glaube bzw. die damit verbundene Kultur in Deutschland doch heute gar nicht so unwichtig ist, wie viele Menschen denken. Der Islam und die damit verbundenen Bräuche sind vielen fremd und was fremd ist, macht Angst.

Die Debatte über Deutschtürken rückte in den Hintergrund, als die „Flüchtlingskrise“ 2015 begann. Auf einmal waren Flüchtlinge die Fremden in Deutschland und die Türken die Bekannten, die je nach politischer Stimmungslage mal mehr und mal weniger zu Deutschland gehörten. Ein größeres Thema wurden die Deutschtürken lediglich kurz bei den Parlamentswahlen 2015 in der Türkei, als die Mehrheit der stimmberechtigten Deutschtürken sich für Erdoğan aussprach. In Deutschland konnte man nicht begreifen, wie das „passieren konnte“. Für mich nicht schwer vorstellbar: Ich glaube nicht, dass sich all die Deutschtürken so tiefgehend mit dem politischen Konzept von Erdoğan beschäftigt haben (Ich mein: Welcher Deutsche liest komplette Parteikonzepte vor der Wahl?). Erdoğan ist zu einer Figur geworden für das Ernstgenommen werden; für die Anliegen der Deutschtürken. Für die, die sich nicht integriert fühlen. Für die, die keine Perspektiven für sich sehen. Und auch für die „gut integrierten“, die sich fühlen, als müssten sie sich zwischen Deutschland und der Türkei entscheiden. Und in einer gefühlt hoffnungslosen Situation seine Hoffnung auf jemanden zu legen, der gerade „was Nettes“ anbietet; das kommt uns doch auch in Deutschland bekannt vor, oder? Weiterlesen

Phantasialand – Verzichtserklärung statt Barrierefreiheit

Buntes RiesenradWie die meisten von uns, haben auch unsere Klientinnen und Klienten und alle anderen Menschen mit Behinderung große Freude an einem Besuch im Phantasialand in Brühl bei Köln. Dort gelten jetzt allerdings besondere Regelungen für „Menschen mit besonderen Einschränkungen“, die in einer Broschüre erläutert werden.

Gleich zu Beginn wird betont, dass gemäß einer geltenden DIN-Norm „ein Ausschluss von der Fahrt aufgrund von Gesundheits- oder Sicherheitsgründen nicht als Diskriminierung zählt“. Spätestens dann, wenn etwas so explizit erwähnt wird, sollte man meiner Meinung nach hellhörig werden. So wurden alle Fahrgeschäfte von einem Sachverständigenbüro darauf geprüft, für welche Behinderungsformen welche Nutzungsverbote auszusprechen sind und dass sich jeder mit dem Hinweis auf das „Selbstbestimmungsrecht“, durch eine Verzichtserklärung und eine Begleitperson, über dieses Verbot hinwegsetzen kann. Dazu ist es notwendig sich am Eingang an den Gästeservice zu wenden, dort seine Einschränkungen und seine Personalien darzulegen und die Nutzungs- und Verzichtsvereinbarung zu unterzeichnen. Mit dieser darf man dann über den normalen Eingang – unter Vorzeigen des Durchschlags – die jeweilige Attraktion nutzen. Weiterlesen

Weihnachten kommt. Weihnachten kommt?

Photo by rawpixel.com on Unsplash

Weihnachten kommt in diesem Jahr so schnell…
Wir sind doch noch nicht fertig!? Baustellen überall…
Ob das unsere bundespolitische Baustelle „Regierungsbildung“ ist, ob es die Baustelle „Europa: Sein oder nicht sein?“ ist, oder die Baustelle „Menschenrecht auf Asyl“: Die Regierungen haben Schwierigkeiten, den Platz für Menschlichkeit zwischen Grenzzäunen und Lagern oder Gesetzen und Richtlinien einzubauen und aufrecht zu erhalten. Antwort: Ja, das kommt noch… Aber erst später, im Moment ist anderes wichtig! Wir wollen zuerst das Rechte (!?) tun…

Noch wackelt alles – oder es wird so statisch, dass menschliches Leben keine Rolle mehr spielt bzw. spielen kann. Vielleicht mauern wir einfach alles zu, so doch auch die Idee für den Ebertplatz. Dann haben wir jedenfalls keine Probleme mehr…
Köln ist sowieso Baustelle. Bietet Köln Raum? Für wen oder was? Und wie lange dauert das? Und wenn es dann fertig ist – hält das auch? Wir haben eine schnelllebige Zeit und Materialien werden scheinbar auch schneller alt. Der Bezirk Kalk unterscheidet sich da nicht. Die Baustellen an der Hauptstraße oder auf dem Fabrikgelände, oder im nächsten Jahr im Caritas-Zentrum Kalk… Weiterlesen

Armut, Exklusion, Wahlverhalten und Politik in Köln

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Thomas Münch/Hochschule Düsseldorf:

„Wahlbeteiligung höchst unterschiedlich…“ betitelt die Stadt Köln in ihrem Handout in einer Pressekonferenz zur Bundestagswahl 2017 die Wahlergebnisse, um dann im nächsten Kapitel zu beschreiben, wie sich diese Wahlbeteiligung zwischen 45,8 und 88,5 Prozent verortet. Die geringsten Wahlbeteiligungen findet man in den Stadtteilen Chorweiler, Vingst, Gremberghoven und Finkenberg. Die höchste in den Stadtteilen Hahnwald, Klettenberg, Lindenthal, Sülz, Lövenich und Junkersdorf.
Kölnerinnen und Kölner mit nur durchschnittlichem Interesse an ihrer Stadt können diese Stadtteile direkt zuordnen – in armen Stadtteilen gehen weniger Menschen zur Wahl als in wohlhabenden bzw. reichen. Oder, um erneut aus dem Handout des Presseamtes der Stadt zu zitieren: „Nichtwähleranteile nach wie vor hoch in sozial schwächeren Gebieten…“ (a.a.O.: 8).

Ohne an dieser Stelle weiter auf die interessante Frage einzugehen, was denn wohl das Presseamt der Stadt Köln unter „sozial schwach“ versteht, kann vermutet werden, dass hier der Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Lage und Wahlbeteiligung gemeint ist. Und so ist es auch und wird empirisch belegt: In Kölner Stadtteilen und Stadtvierteln mit einem hohen Anteil an Leistungsbeziehern nach dem Sozialgesetzbuch II (umgangssprachlich auch „Hartz IV“ genannt) kann der Anteil der Nichtwähler bis auf über 60 % steigen.

Armut – so wir denn das Leben in der Grundsicherung nach dem SGB II entsprechend dem sozialwissenschaftlichen Diskurs als Leben in Armut bezeichnen (vgl. Cremer 2017) – führt zu geringerer politischer Teilhabe in Form von Wahlbeteiligung als das Leben in ökonomischer Sicherheit oder gar im Überfluss. Der reiche Kölner im Hahnwald, so könnte man diesen Befund verkürzen, schätzt den Wert seiner Wahlstimme höher ein, als der Arme in Chorweiler. Weiterlesen