Wer darf und wer darf nicht? Das ist hier die Frage.

Bei kaum einem Thema schienen in den letzten Tagen, Wochen und Monaten die Verhandlungspartner(innen) weiter auseinanderzuliegen und die parteipolitischen bis ideologischen Gräben unüberbrückbarer zu sein als beim Thema Flüchtlinge und Familiennachzug. Und dann ging es doch auf einmal ganz schnell. Quasi über Nacht kam die Einigung. Den Gesichtern auf beiden Seiten sah man die Erleichterung an, wenigstens schon mal einen der gordischen Koalitionsknoten zerschnitten zu haben. Ja, denn am Ende wurde auch dieser wie schon sein historischer Vorgänger nicht entwirrt, sondern in einem Kraftakt mit einem Schwerthieb zerschnitten: ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Bedenken der Konsequenzen, ohne Blick darauf, was dies für menschliche Schicksale bedeutet.

An dieser Stelle Galileo Galilei zu zitieren mit dem triumphierenden bis stoisch beharrenden und ihm zugeschriebenen Ausruf „Und sie bewegt sich doch!“ wäre zu viel gesagt. Für die Verhandlungsführer(innen), deren parteiliches und persönliches Schicksal mit dem erfolgreichen (Nach-)Verhandeln bei den Koalitionsgesprächen und der mahnenden bis selbstauferlegten Verpflichtung Neuwahlen zu vermeiden, um noch Schlimmeres zu verhindern, mag mit Sicherheit eine große Last von den Schultern gefallen sein. Gut, offen bleibt, was die nach wie vor im freien Fall befindliche SPD, mehr noch ihre Basis, dazu sagen wird. Und ja, ein Kompromiss kennt immer zwei Sieger und lässt in diesem Fall allen drei Parteien (CDU, CSU und SPD) das Gesicht wahren. Geschenkt. Am Ende bleibt es aber das, was es ist: Ein Minimal-Schmalkonsens, den der Bundestag durch seine zwischenzeitliche Beschlussfassung legitimiert hat.

Und es gibt sie doch, die Verlierer. Es sind die Menschen, vornehmlich aus dem nach wie vor von kämpferischen Auseinandersetzungen geprägten Syrien, die seit über zwei Jahren darauf warten und bisher vertrauen durften, ihre Ehepartner(innen), (minderjährigen) Kinder und Eltern ebenfalls in Sicherheit zu wissen und wiederzusehen.

Die Option, im schlechtesten Fall Familienangehörige gar nicht nachholen zu dürfen, belastet nicht nur die Betroffenen psychisch enorm. Sie wirft erhebliche, z.T. verfassungsrechtliche Fragen auf. Welche?
• nach dem von Grundgesetz und Völkerrecht garantierten besonderen Schutz der Familie
• nach der willkürlichen Grenzziehung von lediglich 1.000 Angehörigen von in Deutschland lebenden Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz, die monatlich nachziehen sollen dürfen
• nach den Kriterien, die für die unter dieses Kontingent fallende Familienangehörige gelten sollen und erst noch einvernehmlich gefunden werden müssen
• nach der Tragfähigkeit und Ausgestaltung der Härtefallregelung zum Kontingent der 1.000, die schon während der Aussetzung des Familiennachzuges ab März 2016 galt und selten Anwendung fand
• danach wie Deutschland dauerhaft mit Flüchtlingen und ihrer Integration umzugehen denkt.

Das Recht auf Unversehrtheit ist kein an die deutsche Staatsangehörigkeit oder ein Kontingent gebundenes Recht. Es ist ein Menschenrecht: ungeteilt, unbegrenzt und uneingeschränkt. Ich erwische mich dabei, dass sich mir die Frage aufdrängt, ob dies nicht eine moderne Form von Euthanasie ist? Wem spreche ich das Recht zu, in Sicherheit leben zu dürfen? Wem nicht? Wessen Leben hat für mich einen Wert? Wessen nicht? Es gibt keine Entscheidung zwischen Moral oder Realpolitik an dieser Stelle. Es gibt nur eine humanitäre Pflicht und Schuldigkeit.

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