Mit Caritas international in Tadschikistan

18 Caritas-Mitarbeitende aus ganz Deutschland auf Projektreise mit Caritas international in Tadschikistan: Als wir am ersten Abend nach Ankunft  durch die tadschikische Hauptstadt Dushanbe spazieren, können wir uns noch gar nicht vorstellen, dass Tadschikistan eines der ärmsten Länder unter den ehemaligen Sowjetrepubliken ist. Die repräsentativen Bauten in der Nähe des Präsidentenpalastes bilden einen Kontrast zur Armut und dem Unterstützungsbedarf , die wir in den nächsten Tagen bei Hausbesuchen erleben.

Einladung zum Tee bei Mashhura zuhause

In Vahdat, 30 km von Dushanbe entfernt, besuchen wir die 25-jährige Mashhura, sie hat von Geburt an eine schwere Zerebralparese. Hier empfängt uns die Großfamilie mit offenen Armen und lädt uns zum Tee ein.  Mashhura freut sich über unseren Besuch und strahlt uns an. Niso, ihre alleinerziehende Mutter, erzählt von den schweren ersten Jahren. Kinder mit Behinderung werden oft zu Hause versteckt. Es fehlt das Wissen, sie zu fördern und sie so zu akzeptieren, wie sie sind. Niso erfuhr vom Projekt der Caritas-Partnerorganisation Durakshon, als ihre Tochter 11 Jahre alt war. Mit Hilfe der Rehabilitation und Förderung lernte Mashhura während des Projektes viele Alltagskompetenzen wie Waschen und Anziehen. Das Projekt stellte auch den Kontakt zu einem Privatlehrer her, der Mashhura mit staatlicher Finanzierung bis zur 9. Klasse mit einem vereinfachten Programm zuhause unterrichtete.
Für ihre Mutter Niso war das von Caritas international geförderte Projekt die große Chance. Sie fand aus ihrer Depression und Ohnmacht heraus, absolvierte alle angebotenen Schulungen. Inzwischen ist sie selbst Sozialarbeiterin und koordiniert die Soziale Arbeit mit Kindern mit Behinderung und auch Senioren als stellvertretende Leiterin der NGO Durakhshon. „Eltern sind die größte Stütze für die Rehabilitation. Ich zeige den Familien, wie sie mit solchen Kindern richtig umgehen, sie fördern, mit ihnen unter die Leute gehen und in Kontakt kommen.“ sagt sie.
Wenn die Kinder 18 werden, endet die Projektförderung. Danach haben sie kaum eine Perspektive. Auch Niso ist beim Blick in die Zukunft für ihre Tochter bedrückt und ratlos. Mashhura hat noch Glück und den Rückhalt in der Großfamilie. Als gelernte Physiotherapeutin unterstützt die Großmutter ihre Enkeltochter mit Übungen. Und die Familie macht mit ihr Ausflüge und fördert ihre Interessen wie Musik und Malen.

Ibrohimek hat ein Start up für Handy-Reparatur gegründet.

Ortswechsel: Parvina Tadjibaeva, Leiterin des Länderbüros Caritas Deutschland in Tadschikistan ist sich der Problematik für junge Erwachsene mit Behinderung bewusst. Ausgehend von einem Sozialzentrum der Gemeinde in einem Bergdorf in Ayni hat die Caritas neben der Förderung von Familien mit Kindern mit Behinderung auch ein Programm für junge Erwachsene mit Handicaps aufgelegt. Nach Workshops, die zur Gründung von Kleinunternehmen befähigen, waren 78 junge Menschen eingeladen, ihre Start up-Ideen zu präsentieren. 10 von ihnen wurden ausgewählt und finanziell bei der Gründung unterstützt. Einer von ihnen ist Ibrohimek, der sehbehindert ist. Er repariert Handys. Inzwischen leitet er auch eine Dependance der örtlichen Telefongesellschaft: „Ohne die Förderung hätte ich keine Perspektive gehabt. Jetzt bin sehr zufrieden und stolz, meine Geschäfte laufen gut.“

Parvina Tadjibaeva, Leiterin des Länderbüros von Caritas Deutschland in Tadschikistan

Parvina Tadjibaeva (Leiterin des DCV-Länderbüros in Tadschikistan), organisiert für uns nicht nur die Kontakte zu den sozialen Projekten. Sie bringt uns auch das Leben hier näher, die Kultur, die Gewohnheiten, das Essen …
Wir sind berührt von der Gastfreundlichkeit, und wie warmherzig und offen alle Menschen zu uns sind, denen wir begegnen.

Gastfreundschaft: Einladung zum traditionellen Essen

Eine Sozialarbeiterin lädt unsere gesamte Gruppe zu einem wunderbaren Festessen mittags bei ihrer Familie ein. Und nicht nur das. Nach dem gemeinsamen Essen des erfrischenden Traditionsgerichtes Kurutob mit selbst gebackenem Brot darf das traditionelle Tänzchen nach dem Essen nicht fehlen, das alle strahlen lässt.

Nationalgericht Palov

Abends öffnet ein weiterer Kollege sein Haus für uns, verwöhnt uns mit köstlichem Palov und lädt einen Musikerfreund aus St. Petersburg, der für uns auf der Gitarre spielt.


Einblicke in die Seniorenarbeit:
Im Zentrum der NGO Durakhshon tagt der Seniorenclub. Ältere Frauen und Männer, die Jahrzehnte noch in Zeiten der Sowjetrepublik gearbeitet haben und viele Kompetenzen mitbringen, kommen hier zusammen. Da sind der Theater-Musiker, der Arzt und Therapeut, der lange Jahre eine Klinik leitete, die Druckerin, die Physiotherapeutin und eine Seidenraupenzüchterin. In wöchentlichen Treffen bereiten sie ein Projekt mit dem Ziel einer besseren Integration älterer Menschen in die Gesellschaft vor. 2024 wird es starten und ist von Caritas Deutschland finanziert. Die Senior*innen überlegen, welche Freizeitaktivitäten ankommen und womit sich andere ältere Menschen aktivieren lassen. Das können gemeinsames Nähen, Backen, Schach, Gymnastik und Tanzen sein.

Seniorenclub im Tageszentrum der Caritas-Partnerorganisation Durakhshon

Im Austausch werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der sozialen Arbeit deutlich. Die Projektidee ist sehr ähnlich wie die SeniorenNetzwerke in Köln. Ich berichte von der Nachbarschaftshilfe Kölsch Hätz, die der großen Einsamkeit älterer Menschen in der Stadt entgegenwirkt. Die Seniorinnen und Senioren können nicht verstehen, dass Nachbarschaftshilfe wie bei uns in Deutschland gesteuert werden muss. In Tadschikistan ist es selbstverständlich, dass sich Nachbarn umeinander kümmern und täglich nach einem schauen. Und selbst wenn Kinder wegen der Arbeit migrieren, bleibt immer noch ein Kind zuhause, um den alten Eltern zu helfen. Wenn das nicht möglich ist, wird täglich per Video mit den Kindern im Ausland telefoniert.

Begegnungen im Pflegeheim Batosh

 

 

 

 

 

 

Besuch des staatlichen Pflegeheims „Batosh“ in Tursunzade: Hier leben rund 220 ältere Menschen und Erwachsene mit Behinderung jeden Alters, aber auch Menschen, die von Obdachlosigkeit bedroht waren. Ihnen stehen Einzelzimmer oder als Ehepaare Doppelzimmer zu Verfügung. Zusätzlich sichert ein eigener landwirtschaftlicher Betrieb die Selbstversorgung des Hauses mit Lebensmitteln. Caritas fördert Schulungsprogramme des Personals in Rehabilitationsmaßnahmen, u.a. Physiotherapie. Im Gespräch erzählen uns die Bewohner*innen ihre Lebensgeschichten und wie sie ihre Zeit verbringen. Der Direktor führt uns durchs Haus und ist stolz auf die Komplettversorgung der Menschen. Ein russisches Ehepaar ist nach dem Bürgerkrieg wohnungslos geworden. Bereits mit 50 Jahren sind sie daraufhin in Batosh untergebracht worden. Gerne hätten sie noch gearbeitet, aber das war nicht erlaubt. Jetzt ziehen sich die Tage ohne Beschäftigung in die Länge. Auch die Unterbringung der jungen Erwachsenen mit Behinderung werfen bei uns Fragen auf. Wir sprechen mit einer jungen schwangeren Frau. Sie hat bereits eine sechsjährige Tochter, die bei ihrer Schwester aufwächst, so wird es auch beim nächsten Kind sein. Die Kinder dürfen nicht bei ihr im Heim leben.

„Tadschikistan – wo liegt das eigentlich?“
Diese Frage wird mir immer wieder gestellt. Ein paar Fakten zum Land: Tadschikistan grenzt an China, Afghanistan, Usbekistan und Kirgistan. Die Hauptstadt Dushanbe, Sitz des Präsidenten, ist mit einer Million Einwohner*innen so groß wie Köln (Gesamteinwohnerzahl: 8 Millionen). Dushanbe schillert, blinkt und strahlt in seiner opulenten Pracht.

Prunkvolles Großes Teehaus in Dushanbe

Fahrt durchs Hochgebirge

Auch wenn die Prunkbauten in der Hauptstadt es nicht vermuten lassen: Tadschikistan ist das ärmste Land unter den ehemaligen Sowjetrepubliken, nach einem Bürgerkrieg ist das Land seit 1991 unabhängig und eine Präsidiale Republik unter Präsident Rahmon. Im Stadtbild ist er mit seinem Konterfei an vielen Gebäuden omnipräsent.
Einen Kontrast bilden die Überlandfahrten durch hohe, karge Berge. 93 % der Fläche ist Gebirge. Auf den Autostraßen laufen immer wieder Ziegen und Kühe.  Tadschiken ziehen mit ihren Lasteneseln vorbei. Wir besuchen Bergdörfer, in denen nicht alle Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser hatten und jetzt mit einem Quellwassersystem dank Spendengeldern von Caritas international Abhilfe geschaffen wird.

Ein großes Problem in Tadschikistan ist die Arbeitsmigration. Viele junge Menschen finden keine berufliche Perspektive. Ein Drittel der jungen Erwerbstätigen geht als Arbeitsmigranten überwiegend nach Russland. Familien zerbrechen, es gibt mehr allein lebende, einsame ältere Menschen, die mit ihrer niedrigen Rente ihr Leben nicht finanzieren können.

NGO’s versuchen, mit Pilotprojekten dagegen zu steuern: Nicht nur junge Erwachsene mit Handicap erhalten die Chance durch Spendengelder, ein kleines Geschäft zu gründen. Auch die NGO Zumrad fördert junge Erwachsene, vor allem Waisen, mit Unterstützung der Caritas, ein Start up zu gründen und sie so im Land zu halten.

Austauschtreffen mit Caritas-Kolleg*innen aus Tadschikistan im Caritas-Büro in Dushanbe

Expertenaustausch: Thema ist der Aufbau einer Struktur sozialer, pflegerischer und medizinischer Berufe in Tadschikistan mit den Caritas-Kolleg*innen vor Ort. Wir verstehen im Laufe der Diskussion, wie sehr sich die Berufsbilder mit Ausbildungswegen in Deutschland von den bestehenden in Tadschikistan unterscheiden. Das zeigt sich u.a. beim Verständnis von Sozialer Arbeit. Sozialarbeiterinnen in Tadschikistan haben nicht wie in Deutschland ein Studium absolviert sondern sind ungelernte Kräfte, deren Hilfe Haushaltstätigkeiten wie Putzen, Kochen, Einkaufen umfasst. Caritas legt daher Schulungsprogramme auf, um die Mitarbeitenden der staatlichen Organisationen zu  qualifizieren. Auch wenn das Fachwissen bei den Sozialarbeiterinnen noch fehlt: Was wir vor allem bei unseren Hausbesuchen mitnehmen und bei uns in Deutschland oft fehlt, ist die große Warmherzigkeit, die die Mitarbeitenden den älteren, kranken Menschen entgegenbringen. Sie nehmen sie in den Arm, trösten sie, hören ihnen zu, sind einfach für sie da.

Tanzen geht immer.

Erfüllt von den vielen Begegnungen und Eindrücken geht es nach acht Tagen wieder nach Hause. Wenn ich an die Menschen und ihre Gastfreundschaft denke, geht mir immer wieder das Herz auf. Das sind viele Erinnerungen, beispielsweise an den Bewohner eines armen Bergdorfes, der aus Dankbarkeit für die Caritas-Unterstützung ein Schaf für uns schlachten möchte, an die vielen freundlichen Menschen mit ihrer Hilfsbereitschaft, egal wo wir hinkommen.
Und was Parvina mit ihrem Team von insgesamt 10 Mitarbeitenden, ausgehend vom Caritas-Büro in Dushanbe in Tadschikistan und länderübergreifend leistet, ist einfach großartig. Sie erkennen den Bedarf an sozialer Arbeit und Unterstützung, entwickeln die passenden Konzepte und setzen sie mit großem diplomatischem Geschick auch in Kooperation mit staatlichen Stellen und dank eines breiten Netzwerkes um.

Für diese wichtige Arbeit sind Spenden immer willkommen:
Caritas international
IBAN: DE88 6602 0500 0202 0202 02
BIC: BFSWDE33KRL
Bank für Sozialwirtschaft Karlsruhe

Marianne Jürgens/Öffentlichkeitsarbeit Caritasverband Köln

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