Die Pflege in Köln steht unter Druck: Der demografische Wandel trifft auf zu wenig Plätze, zu wenig Personal und steigende Anforderungen. Markus Peters, Sprecher des Vorstandes der Caritas Köln, erklärt im Interview, warum Integration dabei ein Schlüssel ist, welche Rolle die Caritas übernimmt und was es braucht, damit Pflege in Köln zukunftssicher gelingen kann.
Pflegenotstand, Personalmangel, Finanzierungslücken – und ein demografischer Wandel, der immer spürbarer wird. Wie kann Kölns Altersversorgung langfristig gesichert werden?
Die Herausforderung ist auch in Köln längst angekommen. Mit nur 11,4 stationären Pflegeplätzen je 100 ältere Bürger liegt die Stadt deutlich unter dem Bundes- (14,4) und Landesschnitt (13,7). Im Jahr 2024 gab es 93 stationäre Pflegeeinrichtungen – zu wenig, um den tatsächlichen Bedarf zu decken. Schätzungen zufolge fehlen rund 4.000 Plätze, um die heutige bereits unterdurchschnittliche Versorgungsquote zu halten. Um diese Lücke zu schließen, wären rund 40 Neubauten erforderlich. Doch: Neubauten allein werden es nicht richten – dafür fehlen nicht nur Mittel und Bauland, sondern vor allem auch Pflegekräfte.
Darum setzen wir als Caritas Köln auf einen breit angelegten Ansatz, wie er auch in unserer strategischen Ausrichtung festgeschrieben ist: Wir wollen unsere stationären Kapazitäten maßvoll erweitern – zum Beispiel mit einem Neubauprojekt in einem bislang unterversorgten Stadtteil wie Köln-Ossendorf. Gleichzeitig prüfen wir Erweiterungen an bestehenden Standorten – etwa am Caritas-Altenzentrum St. Heribert in Deutz. Dort könnten fünf zusätzliche Pflegeplätze entstehen, wenn bürokratische Hürden gemeinsam mit der Stadt überwunden werden können.
Aber eines ist klar: Der Bau neuer Plätze allein wird das Problem nicht lösen. Für jeden Platz braucht es im Schnitt eine halbe Pflegekraft – für 4.000 Plätze wären das 2.000 zusätzliche Fach- und Hilfskräfte. Angesichts des leergefegten Arbeitsmarkts ist das schlicht unrealistisch.
Deshalb denken wir weiter. Neben Neubauten setzen wir auf ein abgestimmtes Konzept aus Erweiterungen, ambulanten Angeboten und quartiersnaher Unterstützung. Unser Ziel: Menschen so lange wie möglich ein selbstständiges Leben in den eigenen vier Wänden ermöglichen – mit ambulanter Pflege als Brücke, wo nötig. Denn diese benötigt weniger Personal als stationäre Versorgung.
Unser Fazit: Nur durch eine clevere Kombination aus stationärer Erweiterung, ambulanter Stärkung und niedrigschwelligen Angeboten vor Ort lässt sich die Pflege zukunftssicher gestalten.
Welche Rolle spielt die Caritas Köln im Bereich Alter und Pflege innerhalb der Stadtgesellschaft?
Die Caritas ist mehr als ein Träger – wir sind Teil der Stadtgesellschaft und historisch eng an die Kirchengemeinden geknüpft. Anders als große Investoren oder überregionale Anbieter sind wir daher in Köln verwurzelt. Wir kennen die Stadt, die Bezirke und Veedel, die Menschen und ihre Bedürfnisse.
Als einziger Träger in Köln bieten wir eine flächendeckende und quartiersnahe Versorgung – von der Beratung über die ambulante Pflege bis zur stationären Versorgung. Dazu gehören auch Tagespflege, Hausnotruf, Alltagsbegleitung, Hospizarbeit und Netzwerkarbeit in den Stadtteilen. Zugleich ist unser Engagement im Bereich des Ehrenamts ein wichtiger Baustein, z. B. die Kölsch Hätz Nachbarschaftshilfen oder die Freiwilligenagentur Mensch zu Mensch. Hier beraten, begleiten und vermitteln wir Menschen, die sich ehrenamtlich für (ältere) Menschen in Köln einsetzen möchten. Das Ehrenamt ist ein wichtiger Faktor, um die angesprochenen Herausforderungen überhaupt bewältigen zu können. Darüber hinaus sind wir auch über die Mitarbeit in Gremien, Arbeitsgemeinschaften und Ausschüssen in der Sozial- und Kommunalpolitik aktiv, um gute Bedingungen für die sozialen Träger und ihre Klient*innen zu erwirken.
Diese einzigartige Vielfalt über das gesamte Stadtgebiet hinweg macht uns zu einem verlässlichen Partner für die Menschen in Köln – und zu einem tragenden Pfeiler der sozialen Infrastruktur.
Wie gut sind Träger wie die Caritas Köln auf die wachsenden Anforderungen in der Pflege vorbereitet – und was brauchen sie von Politik und Verwaltung?
Mit Blick auf die Verwaltung und Politik vor Ort in Köln wünschen wir uns, dass die Verantwortlichen sich als aktive Gestalter der Rahmenbedingungen für eine gute Pflege verstehen. Bauvorhaben für Pflegeheime müssen vereinfacht, Bauflächen bereitgestellt werden. Auch eine Bindung von freien Grundstücksflächen für soziale Zwecke ist mehr als überfällig. Für das Feld der offenen Seniorenarbeit und Beratung ist eine dauerhafte Finanzierung vonnöten, zur Entlastung und Teilhabe aller älteren Menschen mit und ohne internationale Familiengeschichte.
Der Bürokratieabbau ist in aller Munde, stellt im Pflege- und Gesundheitssektor aber ein reales Hindernis dar. Hier sind beispielsweise für wenige zusätzliche Plätze wie im Altenzentrum in Deutz komplexe Genehmigungs- und Abstimmungsverfahren notwendig – inklusive Ausnahmen von Vorschriften, die für die Nutzer*innen kaum relevant sind. Diese Prozesse können demotivierend wirken. Selbst wenn alle formalen Hürden genommen sind, dauert die Umsetzung oft zwei bis drei Jahre. Hier könnten Stadt und Landschaftsverband durch aktive und progressive Verfahren Abhilfe schaffen.
Zum Thema Personal: Unsere Pflegeeinrichtungen leben von den Mitarbeitenden – und diese sind bunt und vielfältig, was Religion, Kultur und Herkunft betrifft. Ohne Menschen, die aus beruflichen Gründen zuwandern, könnten wir den Betrieb nicht aufrechterhalten. Doch die Verfahren zur Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis sind oft hinderlich. Selbst gut integrierte Mitarbeitende müssen ihre Tätigkeit unterbrechen, weil Behörden aufgrund von Bearbeitungsstaus keine rechtzeitigen Bescheide ausstellen.
Ein weiteres Beispiel: die überbordende Dokumentationspflicht. Zwar haben wir durch Digitalisierung viel erreicht, doch noch immer gibt es absurde Vorgaben – etwa manuelle Werterfassungen bei selbstprüfenden Geräten. Unser interner Aufwandsschätzwert: Rund zehn Prozent der Arbeitszeit gehen für vermeidbare Dokumentation drauf – das entspricht vier Vollzeitstellen in einer 80-Plätze-Einrichtung.
Hier braucht es endlich mutige Entlastung – durch digitale Lösungen, reduzierte Anforderungen und mehr Vertrauen in die Träger.
Gute Pflege braucht gutes Personal. Was tut die Caritas Köln, um Pflegekräfte zu gewinnen und zu halten?
Wir sind stolz auf unsere Mitarbeitenden – und besonders auf die hohe Zahl älterer Pflegekräfte, die bei uns bis zur Rente arbeiten. Natürlich ist der Job anspruchsvoll. Aber wir bieten auch verlässliche Bedingungen: Die Bezahlung nach AVR-Tarif hat sich überdurchschnittlich entwickelt. Zwischen 2015 und 2023 stiegen die Löhne in der Altenpflege um über 50 %. Zum Vergleich: Der bundesweite Schnitt lag bei 23 %.
Unsere stationären Einrichtungen werden neu organisiert: Ziel ist es, die Betreuung der Bewohner*innen zu verbessern und gleichzeitig die Arbeitsbedingungen für das Personal zu erleichtern. Kern der neuen Personalbemessung ist ein kompetenzzentrierter Ansatz: Nicht alle Mitarbeitenden übernehmen alle Aufgaben. Je nach Pflege- und Betreuungsbedarf werden die Bewohner*innen von der jeweils richtigen Fachperson aus unseren Teams betreut: Hauswirtschaftliche Tätigkeiten werden z. B. von Präsenzkräften übernommen – so kann sich die Pflege auf Pflege konzentrieren. Zudem nutzen wir mithilfe von Assistenzsystemen, Dokumentationsapps oder digitaler Medikamentenversorgung die Chancen von Digitalisierung – zur Entlastung des Pflegepersonals und um die Selbständigkeit der Pflegebedürftigen zu erhöhen.
Motivation wird bei uns belohnt – zum Beispiel über unsere „Value App“. Wer für Kolleg*innen einspringt, sammelt Punkte, die sich in Freizeitgutscheine oder Kinotickets umwandeln lassen.
Ein weiterer Schlüssel: Ausbildung. Mit dem neuen Caritas-Bildungszentrum in Köln-Hohenlind haben wir Raum für 252 Auszubildende geschaffen. Ergänzend bietet unsere neue Azubi-Werkstatt in Köln-Niehl Raum für Workshops, Lernformate und persönliche Beratung. So sichern wir die Zukunft unserer Pflege.
Migration gilt als Schlüssel zur Zukunft der Pflege. Wie wichtig ist das Thema für die Caritas Köln – und wie gelingt Integration in der Praxis?
Ohne Zuwanderung wird der wachsende Pflegebedarf nicht zu decken sein. Die Zahl junger Menschen auf dem Arbeitsmarkt sinkt – gleichzeitig steigen die Anforderungen. Migration ist also kein „Nice-to-have“, sondern essenziell für die Versorgung und Betreuung älterer Menschen.
Allerdings zeigt die Praxis: Die gezielte Anwerbung fertig ausgebildeter Pflegekräfte aus dem Ausland ist schwierig. Unterschiedliche Ausbildungswege und Sprachbarrieren machen die Integration oft langwierig.
Erfolgsversprechender ist ein anderer Weg: Wir setzen auf junge Menschen mit Migrationshintergrund, die bereits hier leben – und Schritt für Schritt in die Pflege hineinwachsen. Es gibt viele Einstiegsmöglichkeiten: als Präsenzkraft, in der Hauswirtschaft oder als Pflegehelfer*in. Sprache wird am Arbeitsplatz verbessert, Integration geschieht im Alltag. Die neuen Ausbildungsformate erlauben eine stufenweise Qualifikation bis zum Pflegeexamen.
Natürlich gibt es Herausforderungen – gerade in der Ausbildungsbegleitung. Darum haben wir an unserer Pflegeschule eine zusätzliche Lehrkraftstelle geschaffen, die gezielt unterstützt. Diese Stelle finanzieren wir derzeit aus eigenen und Spendenmitteln – weil sie extrem wichtig ist.
Und auch hier wieder das Thema Bürokratie: Ein Aufenthaltstitel erfordert einen Ausbildungsvertrag – aber der Vertrag kann ohne Aufenthaltstitel gar nicht ausgestellt werden. Ein klassisches Henne-Ei-Problem. Hier brauchen wir dringend praktikablere Lösungen von Seiten der Politik und Verwaltung.
Weitere spannende Einblicke in das Thema Alter und Pflege in Köln erhalten Sie in unserer aktuellen Ausgabe 01_25 der Caritas Konkret.