Wenn die Vorbilder versagen – Wie orientieren wir unsere Kinder und Jugendlichen?

Mutter sitzt mit Kind im Arm auf dem Boden und sie schauen sich gemeinsam eine Landkarte anAls Eltern und Erziehende haben wir die Aufgabe, die uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen auf ihrem Weg in diese Welt zu orientieren. Sie sollen wissen, „wo es lang geht“ zu einem selbstbestimmten sinnerfüllten Leben. In unserer täglichen Arbeit als Erziehungs-, Familien- und Jugendberater_innen unterstützen wir die Sorgeberechtigten und die Heranwachsenden in diesem Suchprozess. Zunehmend wird mir in diesen Zeiten unklar, wie dies geschehen soll. Wie sollen wir Wahrhaftigkeit überzeugend als hohen Wert vermitteln, wenn Führende in Politik und Wirtschaft lügen, ohne dass sich die Balken biegen? Wie sollen wir Mitgefühl und Solidarität hoch halten, wenn Prominente und Medienstars, also die, die sich Kinder und Jugendliche oft zum Vorbild nehmen und mit großer Leidenschaft nachzuahmen versuchen, hauptsächlich ihr eigenes Wohlergehen im Blick haben und schamlos das von ihren Fans erbeutete Geld in verschwiegene Paradiese verschieben? Wie sollen wir glaubwürdig die Notwendigkeit achtsamen Hinschauens und besonnenen Urteilens vermitteln, wenn in der digitalen Welt (vielleicht manchmal auch von uns?) gnadenlos verallgemeinert und der Andersdenkende verächtlich gemacht wird?

Wir orientieren uns in diesen digital durchwirkten Zeiten vorwiegend mit dem Navi. Eine wunderbare Technik – aber das GPS zeigt uns nur an, wo wir stehen, nicht wohin wir wollen. Wir müssen ein Ziel eingeben, um einen Weg dorthin beschrieben zu bekommen. Ziele aber benötigen Werte. Und in der Vermittlung von Werten und Haltungen liegt wohl zu allen Zeiten, aber heute besonders die große Aufgabe für uns Eltern, Erziehende und Berater_innen. Die wegweisenden Werte sind uns allen bekannt und werden, zumindest in Befragungen auch von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt. Sie stehen in den 10 Geboten und in unserer Verfassung. Es geht in erster Linie um den Schutz der leider sehr antastbaren Würde des einzelnen, um ein respektvolles und solidarisches Miteinander und um einen achtsamen Umgang mit der Schöpfung. Geben wir in unser Navi ein Ziel ein, nennt es uns zunächst immer den schnellsten Weg zu diesem Ziel. Ich glaube, wir müssen auch hier manchmal mit unserer analogen Vernunft eingreifen und deutlich machen, dass ein langsames und ausdauerndes Gehen in die gewählte Richtung uns zuverlässiger an ein oft noch gar nicht deutlich erkennbares Ziel bringen kann als das blicklose Rennen mit hängender Zunge.

Ein Gastbeitrag von Thomas Lindner, Diplom-Psychologe und Leiter einer Erziehungs- und Familienberatungsstelle des Caritasverbandes für die Stadt Köln

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert