Dynamik ist ein Wort, unter dem der in diesen Tagen nun doch noch unterzeichnete Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD steht und damit Sinnbild dafür ist, dass die Zeit der Kommissare, des Vorübergehens, des Designierten, des non nominati vorbei ist.
Dynamisch ist auch die eine oder andere Aussage, die sich in diesen Tagen in scheinbar schier unhaltbarer Vorfreude auf das Kommende Bahn bricht. Die Qualität der Äußerungen des einen oder anderen Politikers verblüfft dabei durchaus. Sie haben doch noch 3 ½ Jahre Zeit vor sich, im positiven wie negativen, geistreichen wie wortleeren, weitsichtigen wie engstirnigen, strategischen wie operativen, inkludierenden wie exkludierenden Sinn von sich Reden zu machen?
Was ich meine? Ich meine beispielsweise die noch vorsichtig formuliert ungeschickte Aussage des designierten Gesundheitsministers Jens Spahn, der sich mit der Äußerung, mit Hartz IV habe „jeder das, was er zum Leben braucht“, schon einmal gekonnt in Szene setzt. Eine deutliche Antwort findet neben vielen anderen u.a. der Diözesan-Caritasdirektor für das Erzbistum Köln, Dr. Frank Joh. Hensel. Er kritisiert die politische Ignoranz gegenüber der Tatsache, dass Hartz IV das Existenzminimum in Deutschland nicht sichere mit den Worten: „Wer glaubt, Menschen, die von Grundsicherung leben, müssten nicht arm sein, der verkennt die Realität. Mit Hartz-IV-Regelsätzen in Deutschland über die Runden kommen zu müssen, heißt vor allem, ausgeschlossen zu sein von einem Leben, in dem das Geld über den Monat reicht. Armut ist alles andere als ein Zufall. Armut wird politisch hingenommen – dabei könnte sie verhindert werden.“ Wir wissen und die Zusammenhänge vielfach bekannt: Bezieher von Grundsicherung können sich oft weder genug Lebensmittel noch einen Zoo- oder Kino-Besuch leisten, sie haben meist kein Auto oder Fahrrad zur Verfügung. Sie sind nicht mobil und haben weniger gesellschaftliche Kontakte.
Ja, und dann war da noch die Ankündigung von Horst Seehofer, dem designierten Heimat- und Innenminister. Als solcher will er für mehr Sicherheit in Deutschland sorgen und kündigte dafür einen „Masterplan für schnellere Asylverfahren und konsequentere Abschiebungen“ an. Eine Zahl, die im Zusammenhang mit einem zu erwartenden Potenzial immer mal wieder kursiert, sind für 2017 prognostizierte 485.000 ausreisepflichtige Menschen.
Tatsächlich ist die Zahl der ausreisepflichtigen Menschen deutlich niedriger und trotz der Aufnahme von zwischenzeitlich mehr als 1 Million Schutzsuchender seit Mitte 2015 konstant geblieben. Sie lag Aussagen der Bundesregierung zufolge am 30. Juni 2015 bei ca. 180.000 Personen und zum 30. April 2017 bei ca. 220.000 Personen. Hinzukommt, dass bei der übergroßen Mehrheit der ausreisepflichtigen Personen die Durchsetzung der Ausreisepflicht durch eine behördliche Entscheidung ausgesetzt worden ist z.B. wegen der Sicherheitslage im Herkunftsland, fehlender Rücknahmebereitschaft des Herkunftslandes, medizinischer Abschiebungshindernisse oder anderer humanitärer Gründe. 72 Prozent der ausreisepflichtigen Menschen haben aufgrund der genannten Gründe eine Duldung und unterliegen damit Abschiebehindernissen, für die sie nicht verantwortlich sind und die ihnen nicht angelastet werden können.
Die Aussage kann nur in dem Zusammenhang zu verstehen sein, der im Koalitionsvertrag unter dem Stichwirt „Effizientere Verfahren” formuliert ist. Bei diesen Verfahren planen CDU, CSU und SPD die Abwicklung von Asylverfahren in sogenannten Anker-Einrichtungen. In den Ankunfts- und Rückführzentren müssen alle Neuankömmlinge mindestens so lange bleiben, bis ihre Identität geklärt ist; in der Regel 18 Monate, bei Familien mit minderjährigen Kindern sechs Monate. Hier soll das gesamte Asylverfahren stattfinden: von Klärung der Herkunft über Speicherung von Fingerabdrücken und Auslesen von Handys bis zur Entscheidung im Asylverfahren. Unklar ist, wie abschreckend diese Einrichtungen sein sollen. Das Vorgehen ist hingegen klar: Um Abschiebungen zu beschleunigen, sollen fehlende Papiere ersetzt und Hürden in Herkunftsländern abgebaut werden. Wie, bleibt offen. Medizinisch umstritten ist auch die Altersfeststellung bei Minderjährigen, die das Jugendamt unter Mitwirkung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vornehmen soll.
Angesichts dieser offenen und unklaren Punkte erklärt es sich dann wiederum, warum die Ausgangsaussage so vage ist und an der Realität gemessen keinen Bestand hat, aber Potenzial besitzt, die Gesellschaft weiter zu spalten.