Es ist 15 Uhr, Freitag Nachmittag und es hat gerade einen Sturzregen gegeben. „Da ist immer so, wenn wir Suppe ausgeben“, sagt Jutta, die Initiatorin von „Juttas Suppenküche“. Vor der resoluten Frau mit der Suppenkelle hat sich eine Schlange gebildet, viele wollen von der schmackhaft riechenden Suppe in den Plastiktellern. Eine russische Reisegruppe drängt sich neben den auf Essen wartenden unter dem Überhang des Domforums. Ganz klar ist jetzt nicht, ob sich diese Gruppen mischen. Über der Szene schwebt eine Bratpfanne. Sie gehört zur Installation von Felix Droese: „HIER STEHE ICH MIT LEEREN HÄNDEN VOR DIR“ kann man auf der Eichenbohle lesen, aus der die Pfanne oben herausragt. Im intensiven Grün der Bemalung werden die eingesägten Buchstaben deutlich sichtbar.
„Die Stadt will uns hier eigentlich nicht“, sagt eine Mitarbeiterin von Jutta, die Spendendose in der Hand. Man kann sich das gut vorstellen. Die Imagepflege für genau den Ort, von dem aus die meisten Fotos des Doms entstehen, kennt bereits den Konflikt um die überdimensionierte Kreuzblume, die ihrerseits den filigranen Taubenbrunnen zur unbemerkten Nebensache degradiert. Andererseits ist sie ein beliebter Treffpunkt für touristische Touren aller Art, genau gegenüber dem städtischen Verkehrsamt. Eine Suppenküche an diesem Ort – auch wenn sie nur jeden zweiten Freitag stattfindet – kann kaum im Sinne des Stadtmarketing sein. Ein Polizist ist vor Ort und erkundigt sich freundlich. Ein Müllmann beseitigt geistesgegenwärtig eine Pfütze, bevor sich die Szene um die Ecke verlagert und genau an dieser Stelle Kartons aufstellt. „Man muss doch helfen“ sagt er, „ich helfe immer allen“. Dreimal täglich leert er die Mülleimer vor dem Domforum, im Auslauf der Hohe Straße; dreimal täglich ist sie wieder voll.
Neben der Skulptur von Felix Droese wirkt die Intervention von Juttas Suppenküche noch mehr wie eine Aufführung. Die verschiedenen Schilder informieren über das Was, Wer und Wie und Warum. Vor allem an Arbeitslose richtet sich das seit 1993 existierende Angebot, steht da. „Da gibt es frisches Obst – und auch etwas für die Haustiere. Das ist ja für einige ein wichtiger Bezugspunkt.“ kommentiert das die Frau mit der Spendenflasche. Mittlerweile hat sich eine Schlange der Bedürftigen gebildet, die im Laufe der Zeit noch zunehmen wird. Dieser Auflauf bildet einen wirksamen Blickpunkt für das übliche Wimmelbild vor dem Dom.
Betrachtet man das Ganze als eine Art Aufführung, dann richtet sich die gesamte Szenerie an die Stadtöffentlichkeit. Vom Balkon des Domforums aus wird dann auch eine ganze Anzahl von Menschen sichtbar, die – in angemessener Distanz – das Geschehen betrachten. Dass es mittlerweile aufgehört hat zu regnen, fördert naturgemäß die Neugier dieser Passanten. „Mir ist das große grüne Brett mit der Schrift aufgefallen“ sagt eine Dame aus Bergisch Gladbach, die den Fotoapparat gezückt hat. „Das passt da ja ganz gut. Ich frage mich manchmal, wie es den Menschen geht, wenn sie hier in aller Öffentlichkeit um Essen anstehen. Ob das denen peinlich ist?“
Die Frau mit der Spendendose hält die transparente Plastikflasche mit dem Geld auch einigen Zaungästen hin, die diese Szene beobachten. Aber längst nicht jeder beschäftigt sich längere Zeit damit. Einige halten nur kurz inne, kommentieren was sie sehen und ziehen dann weiter, in Richtung Hauptbahnhof oder Hohe Straße. Oder sie beschäftigen sich mit den historisch ausstaffierten, unbewegten Pantomimen, fotografieren sich gegenseitig oder den für diese Perspektive stets zu groß geratenen Dom. „Ich bin nicht so oft in Köln“, sagt die Frau aus Bergisch Gladbach. „Dass man die Armut hier so deutlich sehen kann – das ist schon besonders.“
Der Blogbeitrag stammt von Dr. Johannes Stahl, dem Kurator des Kunstprojektes der Caritas in Köln Erbarmen als soziale Form