Idylle und Zerstörung

Auswirkungen des „globalen Goldhungers“ und Hoffnungsschimmer

– eine Pressereise in das Amazonasgebiet Perus

von Marianne Jürgens, freie Journalistin (ehemals Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Caritasverband Köln), Juni 2025 – Titelbild: Carolin Kronenburg/Caritas international

Auf den ersten Blick eine Idylle: Sanft gleitet unser kleines flaches Boot über den Rio Madre de Dios und den Rio de la Piedra, Nebenflüsse des Amazonas in Peru. Am Ufer blicken wir auf üppigen Regenwald. Schnell ändert sich das Bild. Mehrere große Brachflächen, die Spuren illegaler Goldminen und der damit verbundenen Abholzung werden sichtbar. Auf einer Pressereise der GkP (Gesellschaft katholischer Publizistinnen und Publizisten) mit Caritas international sind wir im Amazonasgebiet zur indigenen Dorfgemeinschaft Boca Pariamanu unterwegs, die nur mit dem Boot nach anderthalbstündiger Fahrt zu erreichen ist

Mit einem dieser Boote zur indigenen Dorfgemeinschaft, Foto: Marianne Jürgens

Die sich zuspitzende Ökokatastrophe im Amazonasgebiet, der Kahlschlag im Regenwald, die Vergiftung großer Landstriche durch Einsatz von Quecksilber bei illegaler Goldschürfung und Vernichtung der Artenvielfalt: Auch in deutschen

Foto: Carolin Kronenburg/Caritas international

Medien wird regelmäßig berichtet, wie dadurch der Lebensraum der indigenen Bevölkerung vernichtet und die Klimaerwärmung weltweit beeinflusst wird.

Humanitäre Hilfe der Caritas und Projekte zur Bewältigung der Klimakrise

Humanitäre Hilfe der Caritas ist nicht zu trennen von Projekten zur Bewältigung der Klimakrise, hat diese doch unmittelbare Auswirkungen auf das Überleben und die Lebensqualität der Menschen. Wir lernen von Caritas Deutschland und der Caritas vor Ort initiierte und geförderte Projekte für den Erhalt des empfindlichen Ökosystems im Amazonasgebiet kennen, die Alternativen und Problemlösungen aufzeigen und sich für die Rechte der indigenen Völker einsetzen.

Für ein resilientes Amazonien

Über Ländergrenzen hinweg entwickeln indigene Gemeinschaften im Amazonasgebiet im Projekt „Nachhaltiges Amazonien – Resiliente Gemeinschaften“ (vom BMZ/Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und Caritas Deutschland finanziert) in gemeinsamen Schulungen und Workshops, wie sie mit ihrem Wissen Artenvielfalt erhalten und sich verschiedene Erwerbsquellen erschließen können. Das soll den Verbleib in ihrem Territorium und den Schutz des Regenwaldes sichern. Viktor Ore/Projektkoordinator bei Caritas Peru und Laura Ramirez/Caritas Madre de Dios hoffen, dass die Erfolge, wie wir es am Beispiel der Dorfgemeinschaft Boca Pariamanu erleben, auch die Geldgeber des Projektes überzeugen und es über das geplante Ende 2026 hinaus fortgesetzt wird. Begleitet wird das praxisorientierte Projekt von politischer Lobbyarbeit zu Umwelt- und Landrechten sowie Unterstützung bei Rechteverletzungen.

Empfang im Dorf Boca Pariamanu, Foto: Marianne Jürgens

Angekommen in Boca Pariamanu hört es auf zu regnen, die Sonne bricht durch. 20 Familien mit 52 Erwachsenen und 100 Kindern vom Volk de Amahuaca leben hier auf einem großen Gelände in Hütten, erbaut mit dem Holz aus dem Regenwald und Dächern von geflochtenen Palmblättern. In der Versammlungshalle erwartet uns in der Mitte ein Tisch, gefüllt mit exotischen Pflanzen und Früchten. Die Präsidentin der

Foto: Carolin Kronenburg/Caritas international

Trocknung der Kakaobohnen vor Weiterverkauf, Foto: Marianne Jürgens

Dorfgemeinschaft erklärt uns, wie das Zusammenleben und die Arbeit in der Gemeinschaft organisiert sind. Unterschiedliche Arbeitsgruppen widmen sich dem Anbau und der Ernte, sowie weiteren Erwerbsquellen wie kunsthandwerklichem Schmuck aus Samen und Früchten, die sich im Regenwald finden.  Bei einem Rundgang durch den Wald sehen wir die traditionellen Heilpflanzen, Kakaoplantagen, Maisanbau, Bienenstöcke, agroökologische Mischparzellen und Kastanienproduktion. Der ökologische Anbau von Kakao bietet inzwischen eine echte alternative Einkommensquelle zum Goldschürfen, denn der Kilopreis hat sich in den letzten zwei Jahren mehr als verdreifacht.

Angestrebt wird die überwiegend autarke Versorgung der Familien mit Lebensmitteln, außerdem fließt ein Teil des Verkaufs, zum Beispiel der Kastanien, in die Gemeinschaftskasse.

Jane del Castillo Ramirez, Foto: Carolin Kronenburg/Caritas international

Bevor wir wieder die Rückfahrt mit dem Boot antreten, bewundern wir den Schmuck aus rein organischem Material. Jane del Castillo Ramirez stellt uns das

Kunsthandwerk vor, in dem 15 Frauen des Dorfes seit drei Jahren arbeiten. Gekrönt wurde ihr Erfolg mit dem Gewinn eines Wettbewerbs. Das Preisgeld in Höhe von umgerechnet rund 14.400 Euro investierten die Frauen wieder in Produktionsräume und Aufforstung.

Seit Dezember 2023 haben die indigenen und traditionell lebenden Familien in Boca Pariamanu konsequent das Konzept agroökologischer Mischparzellen umgesetzt und Erwerbsquellen weiter entwickelt. Die sichtbaren Erfolge lassen sie trotz der Bedrohung ihres Lebensraums positiv in die Zukunft blicken.

„Territorium ist Identität“

Präsident Alfredo Vargas Pio, Foto: Marianne Jürgens

Der Verband FENAMAD bündelt die Interessen von 38 indigenen Dorfgemeinschaften im Gebiet Madre de Dios. Präsident Alfredo Vargas Pio vom indigenen Volk der Shipibos bringt die aktuelle Situation in einem Gespräch mit uns am Vorabend auf den Punkt: „Die Verfolgung Indigener hat zugenommen. Der Staat definiert die Konzessionen für Minen und Holzabbau, aber kümmert sich nicht um die Gebietsansprüche der Indigenen.“ Die Regionalregierung verkaufe den Abbau der vielen Bodenschätze und Ölvorkommen im Gebiet Madre de Dios als Fortschritt und fordere von den Indigenen das Abtreten von Land. Auf nationaler Ebene werden die Rechte der Indigenen missachtet, aber auf internationaler Ebene erfahren sie Unterstützung, unter anderem von Deutschland und den Niederlanden. „Wir wollen unser Wissen über Natur, das Erbe der Vorfahren als wichtige Lebensgrundlage für die Menschheit bewahren und weitergeben.“

Kelly Olivo Rengifo (Mitte), Foto: Marianne Jürgens

Kelly Olivo Rengifo vertritt die Interessen junger indigener Studentinnen und Studenten. Sie betont den Stellenwert von Bildung, um die eigenen Rechte vertreten zu können und dankt Kirche und Caritas für deren Unterstützung und die Möglichkeit, sich weiter zu entwickeln. Von Papst Leo XIV. erhofft sie, dass er das Erbe von Papst Franziskus, der 2018 das Amazonasgebiet besuchte, fortsetze und Druck auf die peruanische Regierung ausübe. „Territorium ist Identität“, sagt sie. „Es gibt eine historische Schuld gegenüber den Indigenen, die beglichen werden muss.“ Sie blickt nach vorne: „Als Jugendorganisation verfolgen wir das Ziel, unternehmerisch erfolgreich zu werden. Dabei wollen wir Traditionen mit neuen Ideen verknüpfen.“ Sie nennt ein Beispiel: „Shampoos werden mit traditionellen Rezepten der Indigenen hergestellt. Bestimmte indigene Muster setzen wir für angesagte Produkte ein.“

Innovatives Wissenschaftsprojekt für Aufforstung und Regeneration zerstörter Gebiete im Amazonas

Am nächsten Tag will ein Teil unserer Gruppe das wissenschaftlich fundierte Aufforstungsprojekt der NGO CINCIA (=Centro de Innovacion Cientifica Amazonica; CINCIA – Centro de Innovación Científica Amazónica) in der ehemaligen illegalen Bergbauzone „La Pampa“ mitten im Regenwald besuchen. Seit die staatliche „Operation Quecksilber“ 2019 illegale Goldminen in „La Pampa“ zerstörte und Goldschürfer vertrieb, wird das Areal durch Militär abgesichert. Trotzdem kommt es hier immer wieder zu Zusammenstößen. Illegale Goldschürfer weichen inzwischen auf Gebiete der Indigenen und Naturschutzflächen im Department Madre de Dios aus. Die von unterschiedlichen Regierungsbehörden mit verschuldeten Nutzungskonflikte führten zu 3596 Klagen gegen illegale Goldschürfer. Aber unter Druck der im Kongress stark vertretenen Interessensgruppen des Bergbaus erließ Perus Präsidentin Dina Boluarte 2024 eine Rechtsverordnung zur Ausweitung der Straffreiheit für die illegalen Unternehmen. Es wurde sogar ein Korridor eingerichtet, in dem Einzelpersonen und kleinen Bergbauunternehmen das illegale Schürfen erlaubt ist.

„Cargueros“, Foto: Christoph Arens/KNA

Wir starten vom Militärstandort „Grau“ nahe der neuen Verbindungsstraße „Interoceanico“, die Peru mit Brasilien verbindet. Eine anderthalbstündige Fahrt auf „Cargueros“, kleinen Geländefahrzeugen, auf deren Ladefläche wir uns stehend immer wieder unter überhängenden Zweigen und Ästen ducken, soll uns zu dem streng bewachten Wiederaufforstungsgelände Alfa Balata bringen. Begleitet werden wir von jungen Soldaten als Personenschutz, die sich vermummen und mit Waffen ausrüsten.

Unsere Personenschützer, Foto: Marianne Jürgens

Nach kurzer Strecke durch intakten Regenwald erreichen wir nach Überqueren einer schmalen Brücke mit losen Holzlatten das erste abgeholzte Gelände, – eine Sandwüste, die der illegale Bergbau hinterlassen hat.  Am Rande der Piste beobachten uns junge Männer auf Geländemotorrädern. Schließlich stoppt unser Konvoi in einem Waldstück. Es habe eine Schießerei wenige Hundert Meter entfernt zwischen Polizei und illegalen Minenarbeitern mit einem Verletzten gegeben, heißt es. Der Militärkommandant fürchtet die Rache der Bergbauarbeiter und im schlimmsten Fall eine Entführung von uns Deutschen. Da er nicht für unsere Sicherheit garantieren könne, müssen wir umkehren. Zurück in der Militärbasis spekulieren wir, was wirklich passiert ist, die Wahrheit können wir nicht ergründen.

Foto: Christoph Arens/KNA

Foto: Christoph Arens/KNA

 

So werden wir leider nicht, wie ursprünglich geplant, selbst einen Baum im Regenwald pflanzen und uns ein eigenes Bild von den Erfolgen des Aufforstungsprojektes machen können.

Das Wissenschaftsprojekt von CINCIA wird getragen von einer breiten Basis von Unterstützern, darunter US Aid und Wake Forest University, und von der guten Kooperation mit dem Militär vor Ort. Für das 30-köpfige Expertenteam ist es existenziell wichtig, unermüdlich Öffentlichkeit dafür zu schaffen, was sie dort eigentlich tun und welche Erfolge sie erzielen.

Cesar Ascorra/Projekt CINCIA links, Foto: CINCIA

Cesar Ascorra, CINCIA-Nationaldirektor für Peru, erklärt uns das Vorgehen: Im ersten Schritt dokumentierte das Wissenschaftsprojekt mit Hilfe von Drohnenaufnahmen und Laboruntersuchungen die Folgen des illegalen Bergbaus im Gebiet „La Pampa“, die Größe des Brachlandes mit der Vernichtung der Artenvielfalt und die Quecksilber-Verseuchung von Wasser, Land und Tieren. Im Anschluss wurden möglichst resistente Setzlinge, Substrate und organische Dünger für die Pflanzung produziert und in die Erde gebracht. Rund 70.000 Setzlinge wurden bereits gepflanzt. „Das dritte Modul beinhaltet die Beobachtung, wie sich Flora und Fauna entwickeln.“ Vorher-Nachher-Aufnahmen zeigen beeindruckende Fortschritte des Projektes. Inzwischen beteiligen sich auch Soldaten der Militärbasis, die das Gebiet absichert, an der Bepflanzung. 174 Militärangehörige wurden 2024 in Aufforstungstechniken an der National Amazon University of Madre de Dios geschult.

Aufforstung im Regenwald, Foto: CINCIA

 

Modellhaft zeigt dieses wichtige, wegweisende Projekt, wie eine Aufforstung mit resistenten Pflanzen und eine Renaturierung gelingen kann, und welche Rahmenbedingungen notwendig sind, um die Ergebnisse auf das gesamte Amazonasgebiet übertragen zu können.

„Sauberes Gold“

Sauberes Gold, Foto: Marianne Jürgens

Gegenüber des Militärstandortes „Grau“ demonstriert uns die handwerkliche Produktionsgemeinschaft AMATAF (Association de Mineros Artesanales Tauro Fatima), wie sich Gold ohne Quecksilber gewinnen lässt. Eine Rüttelmaschine filtert unter Zugabe von Wasser aus dem geförderten Schlamm feinen Goldstaub heraus, der anschließend für den Weiterverkauf zu kleinen Goldklumpen geschmolzen wird. Im Oktober 2023 wurde das Pilotprojekt für seine erste fair produzierende Goldlieferkette in der Region zertifiziert. Herausforderungen sind allerdings die Vermarktung des „sauberen“ Goldes und Gewinnung verantwortungsbewusster Käufer. In der Region Madre de Dios sind rund 50.000 Menschen direkt vom Kleinbergbau abhängig, schätzt Caritas international. Zukunftsvision ist es, viele weitere Bergleute für die umweltbewusstere Goldschürfung zu gewinnen. Die Projektverantwortlichen sind sich einig: Das kann nur gelingen, wenn alle zusammenarbeiten, die Goldschürfer, die Regierung, die Juweliere und die Konsumenten.

„Schmutziges Gold“ – Was tun?

Peru ist der bei weitem größte Goldexporteur Lateinamerikas, bei rund 50% lässt sich der Ursprung des Goldes nicht nachweisen, so eine Studie investigativer Journalist*innen (www.convoca.pe). Gerade im Gebiet Madre de Dios breiten sich die illegalen Minen, verantwortlich für Abholzung und Verseuchung der Umwelt mit Quecksilber, immer weiter aus. Ursachen sind der wachsende „globale Goldhunger“ und der steigende Goldpreis. Auch die Fertigstellung der Verbindungsstraße „Interoceanica“ zwischen Peru und Brasilien erleichtert den illegalen Transport aus den vorher nur schwer zugänglichen Gebieten.Staatliche Verbote zeigen wenig Wirkung und werden nicht mit genügend Nachdruck durchgesetzt. Hier steht die in Peru weit verbreitete Korruption im Wege, und eine Regierung und Präsidentin, denen nachgesagt wird, ebenfalls tief darin verstrickt zu sein.

Auf der Interoceanica entlang der illegalen Goldminen, Foto: Carolin Kronenburg/Caritas international

Ein 18-köpfiges Journalistenteam des grenzüberschreitenden Investigativnetzwerkes OjoPublico hat aufgedeckt, dass in einem Jahrzehnt mehr als 3000 Tonnen hochreines Gold aus illegalem Bergbau exportiert wurde und vor allem Unternehmen aus Indien und den Vereinigten Arabischen Emiraten beteiligt sind. Sie recherchierten die komplexen Wege, „schmutziges“ Gold reinzuwaschen, die eine Rückverfolgung der Lieferketten kaum mehr möglich macht und illegales Gold in die legale Wirtschaft überführt.

Auch wenn Gold nach wie vor als sichere Wertanlage geschätzt wird, „ein ethisch unbedenkliches Investment in Gold gibt es nicht“, vertritt die „Kampagne Bergbau Peru (www.kampagne-bergbau-peru.de). Wer nicht auf Gold verzichten wolle, müsse zumindest auf eine glaubwürdige Zertifizierung von Gold achten oder bei der Herstellung von Schmuck auf Recycling zurückgreifen, so der Appell der NGO.

Problemlösungen für die Umweltkatastrophe im Amazonasgebiet können nur gemeinsam auf internationaler Ebene vorangetrieben werden, schließlich ist die Weltgemeinschaft an den Ursachen durch wirtschaftliche Interessen („Rohstoffhunger“) unmittelbar beteiligt. Auch die Auswirkungen des Klimawandels machen nicht an Ländergrenzen halt.

Caritas engagiert sich weltweit mit vielen praktischen Projekten an der Bewältigung der Klimakrise. In Peru konnten wir auf unserer Pressereise unmittelbar vor Ort erfahren, wie sehr konkrete Maßnahmen das Leben der Menschen dort verbessern.

Jede Unterstützung für die humanitäre Hilfe und das Engagement für innovative Klimaschutzprojekte der Caritas in Peru ist willkommen.

Spendenkonto: Caritas Deutschland/Caritas international, SozialBank,
IBAN: DE88 6602 0500 0202 0202 02, Verwendungszweck: Peru CY00107

60 Jahre Casa Italia: Gelebte Vielfalt, gewachsene Identität

„Noch immer in den Kinderschuhen“ – und doch unverzichtbarer Bestandteil einer diversen Stadtgesellschaft:

Die bilinguale Kindertagesstätte Casa Italia feiert ihr 60-jähriges Bestehen – ein Jubiläum, das weit mehr ist als nur ein Blick zurück. Es ist ein Anlass, eine Institution zu würdigen, die seit sechs Jahrzehnten Brücken baut: zwischen Sprachen, zwischen Kulturen, zwischen Vergangenheit und Zukunft.

Über 2000 Kinder haben in der Casa Italia ihre ersten Schritte in eine Gesellschaft gemacht, die selbst im Wandel war – und es bis heute ist. Was 1965 als Unterstützung für Kinder italienischer Gastarbeiter*innen begann, ist heute ein lebendiges Modell für pädagogische Konzepte im Zeichen der postmigrantischen Gesellschaft. Denn Casa Italia hat sich nicht nur weiterentwickelt – sie ist ihrer Grundhaltung treu geblieben: Vielfalt ist kein Defizit, sondern ein Versprechen.

Gegründet vom Caritasverband Köln und getragen vom St. Elisabeth-Jugendheim e.V., reagierte die Einrichtung früh auf die sozialen Herausforderungen von Migration, Arbeitsmigration und Wohnraummangel. Die Entscheidung, 1980 auf ein bilinguales Konzept umzustellen, war mehr als eine didaktische Strategie – sie war ein Bekenntnis zur Anerkennung von Herkunft, Sprache und kultureller Prägung.

Diese Haltung – damals innovativ, heute hochaktuell – entspricht in vielerlei Hinsicht den Grundgedanken postmigrantischer Theorien, wie sie etwa von Naika Foroutan oder Mark Terkessidis formuliert wurden. In der Casa Italia wird täglich erfahrbar, dass gesellschaftliche Teilhabe nicht erst mit der „Anpassung“ beginnt, sondern mit Anerkennung. Es geht nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch: Kinder lernen hier, sich in mehreren kulturellen und sprachlichen Räumen gleichzeitig zu bewegen – ohne ihre Identität aufgeben zu müssen.

Sprache als soziale Praxis – nicht als Hürde

Die Einrichtung folgt dem Prinzip „Eine Sprache – eine Person“, das wissenschaftlich belegt wurde, unter anderem in einer Evaluation der Universität zu Köln. Dieses Modell erlaubt es Kindern, beide Sprachen – Deutsch und Italienisch – auf natürliche Weise im Alltag zu erleben, ohne sie gegeneinander ausspielen zu müssen. Der authentische Sprachkontakt ist dabei nicht Selbstzweck, sondern Mittel zur Förderung von Selbstbewusstsein, Zugehörigkeit und Ausdrucksfähigkeit. Sprache wird nicht als Barriere verstanden, sondern als Medium der Weltaneignung.

Eine deutsch-italienische Brücke in einer pluralen Gesellschaft

Trotz der Öffnung gegenüber Kindern aus vielen Nationen ist die Casa Italia bis heute ein Ort geblieben, an dem die deutsch-italienische Kulturbeziehung bewusst gepflegt wird. Hier lebt die Erinnerung an eine erste große Einwanderungsgeschichte in der Bundesrepublik, an die Lebensrealitäten der sogenannten „Gastarbeitergeneration“ – nicht als museale Folklore, sondern als gelebtes Kulturerbe. Feste, Rituale, Literatur, Musik und das tägliche Miteinander tragen dazu bei, dass diese Brücke nicht nur erhalten bleibt, sondern immer wieder neu begangen wird – auch von Kindern, die selbst keine italienische Herkunft haben.

Gerade diese bewusste Balance zwischen Kontinuität und Öffnung macht die Casa Italia so besonders: Sie ist sowohl Lernort als auch Erinnerungsort, sowohl Kulturvermittlerin als auch Bildungsakteurin im Heute. In einer Stadt wie Köln – seit jeher geprägt durch Migration, Urbanität und Diversität – zeigt sich hier beispielhaft, wie pädagogische Institutionen gesellschaftlichen Wandel mitgestalten können, ohne dabei ihre Identität zu verlieren.

Vielfalt ist Alltag – und Haltung

Heute ist die Kita ein Raum gelebter Inklusion: Kinder mit und ohne Migrationsgeschichte, mit und ohne Behinderung, unterschiedlicher Religionen und familiärer Hintergründe lernen und wachsen hier gemeinsam auf. Diese Vielfalt ist kein Zusatzprogramm, sondern Grundprinzip. Die Arbeit der Casa Italia basiert auf der Überzeugung, dass eine solidarische Gesellschaft dort beginnt, wo jedes Kind so angenommen wird, wie es ist – mit all seinen Sprachen, Geschichten und Perspektiven.

Wenn wir auf sechs Jahrzehnte Casa Italia zurückblicken, dann sehen wir nicht nur die Entwicklung einer Einrichtung, sondern ein Stück gelebter Stadtgeschichte. Wir sehen, wie Bildungsorte zur sozialen Infrastruktur werden, wie pädagogische Praxis gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht – und wie aus einem Kita-Konzept ein Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit wird.

In einer Zeit, in der sprachliche und kulturelle Vielfalt politisch wieder vermehrt infrage gestellt wird, setzt die Casa Italia ein Zeichen: für Offenheit, für Respekt – und für die tiefe Überzeugung, dass Sprache nicht trennt, sondern verbindet.

 

Autoren: Maria Lamaina und Guido Geiss

 

 

Nachgefragt: Wie steht es um die Pflege in Köln, Herr Peters?

Die Pflege in Köln steht unter Druck: Der demografische Wandel trifft auf zu wenig Plätze, zu wenig Personal und steigende Anforderungen. Markus Peters, Sprecher des Vorstandes der Caritas Köln, erklärt im Interview, warum Integration dabei ein Schlüssel ist, welche Rolle die Caritas übernimmt und was es braucht, damit Pflege in Köln zukunftssicher gelingen kann.

Pflegenotstand, Personalmangel, Finanzierungslücken – und ein demografischer Wandel, der immer spürbarer wird. Wie kann Kölns Altersversorgung langfristig gesichert werden?

Die Herausforderung ist auch in Köln längst angekommen. Mit nur 11,4 stationären Pflegeplätzen je 100 ältere Bürger liegt die Stadt deutlich unter dem Bundes- (14,4) und Landesschnitt (13,7). Im Jahr 2024 gab es 93 stationäre Pflegeeinrichtungen – zu wenig, um den tatsächlichen Bedarf zu decken. Schätzungen zufolge fehlen rund 4.000 Plätze, um die heutige bereits unterdurchschnittliche Versorgungsquote zu halten. Um diese Lücke zu schließen, wären rund 40 Neubauten erforderlich. Doch: Neubauten allein werden es nicht richten – dafür fehlen nicht nur Mittel und Bauland, sondern vor allem auch Pflegekräfte.

Darum setzen wir als Caritas Köln auf einen breit angelegten Ansatz, wie er auch in unserer strategischen Ausrichtung festgeschrieben ist: Wir wollen unsere stationären Kapazitäten maßvoll erweitern – zum Beispiel mit einem Neubauprojekt in einem bislang unterversorgten Stadtteil wie Köln-Ossendorf. Gleichzeitig prüfen wir Erweiterungen an bestehenden Standorten – etwa am Caritas-Altenzentrum St. Heribert in Deutz. Dort könnten fünf zusätzliche Pflegeplätze entstehen, wenn bürokratische Hürden gemeinsam mit der Stadt überwunden werden können.

Aber eines ist klar: Der Bau neuer Plätze allein wird das Problem nicht lösen. Für jeden Platz braucht es im Schnitt eine halbe Pflegekraft – für 4.000 Plätze wären das 2.000 zusätzliche Fach- und Hilfskräfte. Angesichts des leergefegten Arbeitsmarkts ist das schlicht unrealistisch.

Deshalb denken wir weiter. Neben Neubauten setzen wir auf ein abgestimmtes Konzept aus Erweiterungen, ambulanten Angeboten und quartiersnaher Unterstützung. Unser Ziel: Menschen so lange wie möglich ein selbstständiges Leben in den eigenen vier Wänden ermöglichen – mit ambulanter Pflege als Brücke, wo nötig. Denn diese benötigt weniger Personal als stationäre Versorgung.

Unser Fazit: Nur durch eine clevere Kombination aus stationärer Erweiterung, ambulanter Stärkung und niedrigschwelligen Angeboten vor Ort lässt sich die Pflege zukunftssicher gestalten.

 

Welche Rolle spielt die Caritas Köln im Bereich Alter und Pflege innerhalb der Stadtgesellschaft?

Die Caritas ist mehr als ein Träger – wir sind Teil der Stadtgesellschaft und historisch eng an die Kirchengemeinden geknüpft. Anders als große Investoren oder überregionale Anbieter sind wir daher in Köln verwurzelt. Wir kennen die Stadt, die Bezirke und Veedel, die Menschen und ihre Bedürfnisse.

Als einziger Träger in Köln bieten wir eine flächendeckende und quartiersnahe Versorgung – von der Beratung über die ambulante Pflege bis zur stationären Versorgung. Dazu gehören auch Tagespflege, Hausnotruf, Alltagsbegleitung, Hospizarbeit und Netzwerkarbeit in den Stadtteilen. Zugleich ist unser Engagement im Bereich des Ehrenamts ein wichtiger Baustein, z. B. die Kölsch Hätz Nachbarschaftshilfen oder die Freiwilligenagentur Mensch zu Mensch. Hier beraten, begleiten und vermitteln wir Menschen, die sich ehrenamtlich für (ältere) Menschen in Köln einsetzen möchten. Das Ehrenamt ist ein wichtiger Faktor, um die angesprochenen Herausforderungen überhaupt bewältigen zu können. Darüber hinaus sind wir auch über die Mitarbeit in Gremien, Arbeitsgemeinschaften und Ausschüssen in der Sozial- und Kommunalpolitik aktiv, um gute Bedingungen für die sozialen Träger und ihre Klient*innen zu erwirken.

Diese einzigartige Vielfalt über das gesamte Stadtgebiet hinweg macht uns zu einem verlässlichen Partner für die Menschen in Köln – und zu einem tragenden Pfeiler der sozialen Infrastruktur.

 

Wie gut sind Träger wie die Caritas Köln auf die wachsenden Anforderungen in der Pflege vorbereitet – und was brauchen sie von Politik und Verwaltung?

Mit Blick auf die Verwaltung und Politik vor Ort in Köln wünschen wir uns, dass die Verantwortlichen sich als aktive Gestalter der Rahmenbedingungen für eine gute Pflege verstehen. Bauvorhaben für Pflegeheime müssen vereinfacht, Bauflächen bereitgestellt werden. Auch eine Bindung von freien Grundstücksflächen für soziale Zwecke ist mehr als überfällig. Für das Feld der offenen Seniorenarbeit und Beratung ist eine dauerhafte Finanzierung vonnöten, zur Entlastung und Teilhabe aller älteren Menschen mit und ohne internationale Familiengeschichte.

Der Bürokratieabbau ist in aller Munde, stellt im Pflege- und Gesundheitssektor aber ein reales Hindernis dar. Hier sind beispielsweise für wenige zusätzliche Plätze wie im Altenzentrum in Deutz komplexe Genehmigungs- und Abstimmungsverfahren notwendig – inklusive Ausnahmen von Vorschriften, die für die Nutzer*innen kaum relevant sind. Diese Prozesse können demotivierend wirken. Selbst wenn alle formalen Hürden genommen sind, dauert die Umsetzung oft zwei bis drei Jahre. Hier könnten Stadt und Landschaftsverband durch aktive und progressive Verfahren Abhilfe schaffen.

Zum Thema Personal: Unsere Pflegeeinrichtungen leben von den Mitarbeitenden – und diese sind bunt und vielfältig, was Religion, Kultur und Herkunft betrifft. Ohne Menschen, die aus beruflichen Gründen zuwandern, könnten wir den Betrieb nicht aufrechterhalten. Doch die Verfahren zur Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis sind oft hinderlich. Selbst gut integrierte Mitarbeitende müssen ihre Tätigkeit unterbrechen, weil Behörden aufgrund von Bearbeitungsstaus keine rechtzeitigen Bescheide ausstellen.

Ein weiteres Beispiel: die überbordende Dokumentationspflicht. Zwar haben wir durch Digitalisierung viel erreicht, doch noch immer gibt es absurde Vorgaben – etwa manuelle Werterfassungen bei selbstprüfenden Geräten. Unser interner Aufwandsschätzwert: Rund zehn Prozent der Arbeitszeit gehen für vermeidbare Dokumentation drauf – das entspricht vier Vollzeitstellen in einer 80-Plätze-Einrichtung.

Hier braucht es endlich mutige Entlastung – durch digitale Lösungen, reduzierte Anforderungen und mehr Vertrauen in die Träger.

 

Gute Pflege braucht gutes Personal. Was tut die Caritas Köln, um Pflegekräfte zu gewinnen und zu halten?

Wir sind stolz auf unsere Mitarbeitenden – und besonders auf die hohe Zahl älterer Pflegekräfte, die bei uns bis zur Rente arbeiten. Natürlich ist der Job anspruchsvoll. Aber wir bieten auch verlässliche Bedingungen: Die Bezahlung nach AVR-Tarif hat sich überdurchschnittlich entwickelt. Zwischen 2015 und 2023 stiegen die Löhne in der Altenpflege um über 50 %. Zum Vergleich: Der bundesweite Schnitt lag bei 23 %.

Unsere stationären Einrichtungen werden neu organisiert: Ziel ist es, die Betreuung der Bewohner*innen zu verbessern und gleichzeitig die Arbeitsbedingungen für das Personal zu erleichtern. Kern der neuen Personalbemessung ist ein kompetenzzentrierter Ansatz: Nicht alle Mitarbeitenden übernehmen alle Aufgaben. Je nach Pflege- und Betreuungsbedarf werden die Bewohner*innen von der jeweils richtigen Fachperson aus unseren Teams betreut: Hauswirtschaftliche Tätigkeiten werden z. B. von Präsenzkräften übernommen – so kann sich die Pflege auf Pflege konzentrieren. Zudem nutzen wir mithilfe von Assistenzsystemen, Dokumentationsapps oder digitaler Medikamentenversorgung die Chancen von Digitalisierung – zur Entlastung des Pflegepersonals und um die Selbständigkeit der Pflegebedürftigen zu erhöhen.

Motivation wird bei uns belohnt – zum Beispiel über unsere „Value App“. Wer für Kolleg*innen einspringt, sammelt Punkte, die sich in Freizeitgutscheine oder Kinotickets umwandeln lassen.

Ein weiterer Schlüssel: Ausbildung. Mit dem neuen Caritas-Bildungszentrum in Köln-Hohenlind haben wir Raum für 252 Auszubildende geschaffen. Ergänzend bietet unsere neue Azubi-Werkstatt in Köln-Niehl Raum für Workshops, Lernformate und persönliche Beratung. So sichern wir die Zukunft unserer Pflege.

 

Migration gilt als Schlüssel zur Zukunft der Pflege. Wie wichtig ist das Thema für die Caritas Köln – und wie gelingt Integration in der Praxis?

Ohne Zuwanderung wird der wachsende Pflegebedarf nicht zu decken sein. Die Zahl junger Menschen auf dem Arbeitsmarkt sinkt – gleichzeitig steigen die Anforderungen. Migration ist also kein „Nice-to-have“, sondern essenziell für die Versorgung und Betreuung älterer Menschen.

Allerdings zeigt die Praxis: Die gezielte Anwerbung fertig ausgebildeter Pflegekräfte aus dem Ausland ist schwierig. Unterschiedliche Ausbildungswege und Sprachbarrieren machen die Integration oft langwierig.

Erfolgsversprechender ist ein anderer Weg: Wir setzen auf junge Menschen mit Migrationshintergrund, die bereits hier leben – und Schritt für Schritt in die Pflege hineinwachsen. Es gibt viele Einstiegsmöglichkeiten: als Präsenzkraft, in der Hauswirtschaft oder als Pflegehelfer*in. Sprache wird am Arbeitsplatz verbessert, Integration geschieht im Alltag. Die neuen Ausbildungsformate erlauben eine stufenweise Qualifikation bis zum Pflegeexamen.

Natürlich gibt es Herausforderungen – gerade in der Ausbildungsbegleitung. Darum haben wir an unserer Pflegeschule eine zusätzliche Lehrkraftstelle geschaffen, die gezielt unterstützt. Diese Stelle finanzieren wir derzeit aus eigenen und Spendenmitteln – weil sie extrem wichtig ist.

Und auch hier wieder das Thema Bürokratie: Ein Aufenthaltstitel erfordert einen Ausbildungsvertrag – aber der Vertrag kann ohne Aufenthaltstitel gar nicht ausgestellt werden. Ein klassisches Henne-Ei-Problem. Hier brauchen wir dringend praktikablere Lösungen von Seiten der Politik und Verwaltung.

Weitere spannende Einblicke in das Thema Alter und Pflege in Köln erhalten Sie in unserer aktuellen Ausgabe 01_25 der Caritas Konkret.

Zum Tod von Papst Franziskus

Anlässlich des Todes von Papst Franziskus teilt die Caritas Köln ihre Gedanken in einem persönlichen Nachruf. Verfasst wurde er von Dr. Tim Schlotmann, Leiter des Stabsbereichs Seelsorge und Christliche Identität – ein Rückblick auf ein Pontifikat, das die Kirche verändert hat und uns als Caritas tief geprägt hat:

Er war in vielfacher Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung. Schon zu Beginn seines Dienstes wollten die Überraschungen nicht enden. Am Ende war er auch ein gutes Stück ausgezehrt. Und manche hätten wohl mehr von ihm erwartet. Für uns als Caritas aber war dieser Papst eine Art Patenonkel. Unsere Themen waren seine Themen. So viel Rückenwind von höchster Stelle hatte man nicht gekannt. Einen Papst mit einer solchen Street Credibility hat es vielleicht seit Petrus nicht mehr gegeben. Genau deshalb ist es nur verständlich, dass in diesen Tagen viele Menschen um Jorge Mario Bergoglio, den ersten Papst aus Argentinien, trauern. Am Ostermontag – vielleicht müsste man sagen: ausgerechnet an diesem Ostermontag – ist Papst Franziskus im Alter von 88 Jahren gestorben.

 

Bis zum letzten Atemzug hat er sich im Dienst verausgabt. Auch an diesem Ostern 2025 wollte er einer zerrütteten und von vielen kriegerischen Auseinandersetzungen gezeichneten Welt noch einmal seine Osterbotschaft mit auf den Weg geben. Vielleicht war dieses Osterfest auch noch sein letztes Ziel, nach einem wochenlangen Aufenthalt in der römischen Gemelli-Klinik. Wer ihn zuletzt sah, konnte ahnen, dass er nicht mehr ganz der Alte werden würde, der kraftstrotzende lächelnde Mann in weiß, der auf der Piazza di San Pietro die Kinder segnet und niemandes Nähe scheut. Die Tatsache, dass er sich zuletzt noch ein paar Mal im Rollstuhl (und in zivil) in den Petersdom fahren ließ, sagt dabei eine Menge über ihn aus. Bis zuletzt hat er sich unter den Menschen, den einfachen Menschen am wohlsten gefühlt. Er wollte weder vergeistigt über den Menschen schweben noch seine Kirche aus der sicheren Distanz des pompösen Apostolischen Palastes regieren. Schon nach seiner Wahl blieb er im Gästehaus wohnen, setzte sich beim Abendessen unter die Bediensteten, scherzte mit ihnen, hörte sich die Sorgen an. Wenn es ihm nötig erschien, griff Papst Franziskus spontan zum Telefon, rief Menschen zuhause an oder ließ sich auch schon einmal in eine italienische Live-Sendung zuschalten. Franziskus lebte das, was unmöglich erschien: Als Papst Seelsorger zu bleiben, den Machtapparat der Katholischen Kirche zu führen wie ein Dorfpfarrer seine kleine Gemeinde.

Im Hinblick auf vielerorts so sehnlichst erwartete Reformen ist manches auf der Strecke geblieben. In der Zerrissenheit weltkirchlicher Grabenkämpfe wollte er nicht allzu viel riskieren. So entstand zuweilen der Eindruck einer widersprüchlichen Persönlichkeit, den er durch manchmal allzu leicht daher gesagte Floskeln in existenziellen Themen noch verstärken sollte.

Doch eines kann man nicht leugnen: Er hat an den Mauern einer manchmal so verstaubten Institution gerüttelt. Er hat mit Traditionen und Gewohnheiten gebrochen. Er hat den zur Selbstgerechtigkeit neigenden Prälaten im Kirchenstaat den Spiegel vorgehalten. Vor allem aber: Er hat zentrale Themen, die in einer allzu sehr mit sich selbst beschäftigten Katholischen Kirche in Vergessenheit geraten waren, wieder ins Zentrum gerückt. Die Kirche von Papst Franziskus stand an der Seite der Bedrängten und Marginalisierten, der Obdachlosen und der Geflüchteten. Die Kirche von Papst Franziskus trat mutig, entschlossen und lautstark für den Klimaschutz und die Bewahrung der Schöpfung ein. Die Kirche von Papst Franziskus war eine dienende Kirche und mitten unter den Menschen, besonders den leidenden Menschen, hatte sie ihren vornehmlichen Platz. Die Kirche von Papst Franziskus war, ist und bleibt auch für uns als Caritas jene Kirche, die zu verwirklichen ist. Jetzt, da seine Stimme fehlen wird, braucht es womöglich noch stärker unseren besonderen Einsatz für diese zutiefst im Evangelium verankerten Anliegen.

Sicher wird schon in wenigen Tagen die bange Frage nach seiner Nachfolge die Schlagzeilen bestimmen. Zunächst aber dürfen wir uns verneigen, dürfen uns unseres gemeinsamen Anliegens für die Nächstenliebe vergewissern und im österlichen Glauben vielleicht schlicht sagen: Grazie, Papa Francesco!

Dr. Tim Schlotmann, Stab Seelsorge und Christliche Identität

 

Kommentar zu “50 Jahren Psychiatrie-Enquête”

Ein Kommentar von Matthias Reuter, Leitung SPZ Köln-Porz 

50 Jahre Psychiatrie-Enquête
Das Sozialpsychiatrische Zentrum Köln-Porz – ein Kind der Psychiatriereform

Oder wie aus Irren Expert*innen wurden

Ohne Psychiatrie-Enquête keine Psychiatriereform und ohne Psychiatriereform würden wir
heute noch von Begriffen wie „Anstaltspsychiatrie“, von „Verrückten“ und „Irren“ sprechen. Von
Menschen, die in unwürdigen Verhältnissen leben, fernab von zu Hause, herausgerissen aus
ihrem Lebensraum. Abseits von einer Wohlstandsgesellschaft, die „Irre“ wegsperrte und sie
lieber vergaß, sie verwahrte, anstatt sie zu behandeln.

Um ein SPZ (Sozialpsychiatrische Zentrum) zu verstehen ist es wenig hilfreich, die zahlreichen
Angebote, mit großartigen Namen und nichtssagenden Kürzeln aus dem Sozialgesetzbuch
aneinanderzureihen. Um die Bedeutung und Relevanz eines SPZ zu begreifen, hilft der
berühmte Blick über den Tellerrand: genauer gesagt, die evolutionäre Entwicklung des
„Schreckgespenstes der Psychiatrie“, mit seinen verschiedenen Perspektiven auf Menschen
mit psychiatrischen Diagnosen, aus der die Sozial- bzw. Gemeindepsychiatrie und schließlich
das SPZ Köln-Porz hervorgegangen sind.

Als das SPZ Köln-Porz 1994 seine Türen öffnete, war es ein Kind der Psychiatrie-Reform. Eine
Reform, die eine bahnbrechende Veränderung einleitete und deren Bedeutung heute fast
vergessen erscheint. Blicken wir zurück: was war jetzt eigentlich die Psychiatrie-Enquête noch
einmal? Warum ist sie so besonders? Und was bedeutete es, vor der Psychiatrie-Reform,
„psychisch krank“ zu sein und wie ist Gesellschaft mit den betroffenen Menschen
umgegangen?

50 Jahre Psychiatrie-Enquête: raus aus den Anstalten
Startpunkt für die Sozialpsychiatrie und Grundsteinlegung für die SPZ, die im Rheinland
deutschlandweit einzigartig sind, war die Psychiatriereform, der die Psychiatrie-Enquête
vorausgegangen war und in diesem Jahr ihr 50-jähriges Jubiläum feiert.
1971 wurde durch die damalige Bundesgesundheitsministerin Käthe Strobel die 19-köpfige
Enquête-Kommission, unter Prof. Kulenkampff (damals Landesrat vom LVR), ins Leben
gerufen. Ziel: die Beendigung des Psychiatrie-Notstands. In der Geschichte der Medizin hat
kein Ereignis das Schicksal der Kranken und die psychiatrische Versorgung so einschneidend
verbessert wie die Psychiatrie-Enquête der Bundesrepublik Deutschland. Der Bericht über die
Lage der Psychiatrie in Deutschland (Psychiatrie-Enquête) von 1975 gilt als Meilenstein in der
Geschichte der Psychiatriereform und als Ausgangspunkt tiefgreifender Veränderungen. Noch
nie zuvor und danach wurde die Psychiatrie mit ihren Entwicklungsbedarfen und -zielen so
umfassend beschrieben.

Ein dunkler Spiegel: Die lange Geschichte der Ausgrenzung
Psychisch kranke Menschen wurden über Jahrhunderte nicht als hilfsbedürftig, sondern als
„bedrohlich“, „sündhaft“ oder „wertlos“ betrachtet. Sie galten als „wahnsinnig“, „besessen“ oder
„charakterlich defekt“. Ihre Unterbringung erfolgte in Kerkern, Zuchthäusern oder später in
abgelegenen „Irrenanstalten“. Es ging nicht um Heilung – es ging um Ordnung. Um das
„Entfernen des Unpassenden“. Schon früh prägten Psychiater dieses Bild. Der Heidelberger
Direktor Friedrich Groos schrieb 1826: „Die Irrenanstalt ist im Grunde als ein Gefängnis zu
begreifen“. Christian Roller, Reformpsychiater und Gründer der Anstalt Illenau, war
überzeugt: „Der Geisteskranke muss aus seiner Umgebung gerissen und isoliert
werden. Pflege und Erziehung sind nur im Abseits möglich“.

1933–1945: Sprache wird Gewalt – Todesurteil psychiatrische Diagnose
Mit der NS-Zeit radikalisierte sich diese Haltung. Psychiatrische Diagnosen wurden zur
Grundlage für systematische Tötung. Die nationalsozialistische Sprache degradierte
Menschen zu „unnützem Leben“, „Ballastexistenzen“ oder „lebensunwertem Dasein“. Viele
führende Psychiater machten mit – aktiv, planend, schweigend. Werner Heyde, psychiatrischer
Gutachter und zentraler Organisator der NS-Tötungsprogramme, rechtfertigte die Tötung
„psychisch Kranker“ als „notwendige Maßnahme zur biologischen Hygiene des
Volkskörpers“. Carl Schneider, Psychiatrieprofessor in Heidelberg, nannte behinderte Kinder
„geistige Todeskandidaten“. Auch er war an Kindermorden beteiligt.

Zeitleiste: Aktion T4 und die industrielle Vernichtung
1939: Adolf Hitler unterzeichnet die geheime „Ermächtigung zur Tötung unheilbar
Kranker“.
1940: In sechs Tötungsanstalten (u.a. Hadamar, Grafeneck) werden über 70.000
Menschen vergast – geplant, organisiert, begleitet von Psychiatern und Verwaltung.
1941: Nach Protesten (u.a. von Bischof von Galen) wird die „Aktion T4“ offiziell
gestoppt – die Tötungen gehen jedoch dezentral weiter.
1941–1945: Weitere 30.000 bis 40.000 Menschen sterben durch Injektionen,
Hungerkost, Vernachlässigung.
1945: Das NS-Regime endet. Viele Täter bleiben unbehelligt.

Nach 1945: Schuld, Schweigen, Stillstand
Mehr als 100.000 psychisch kranke und behinderte Menschen wurden zwischen 1939 und
1945 ermordet. Kliniken wurden zu Tatorten und Psychiater zu Tätern. Nach dem Krieg wurde
die Beteiligung der Psychiatrie an den Morden nur zögerlich aufgearbeitet. Viele NS-belastete
Psychiater blieben in Amt und Würden – an Kliniken, Universitäten, Ministerien. Die
Verwahrpsychiatrie lebte weiter. Anstalten blieben überfüllt, mit fragwürdigen Therapieformen,
und entmenschlichend.

Während des Wirtschaftswunders in der neuen Bundesrepublik wurden die psychisch Kranken
schlichtweg in den menschunwürdigen Massenunterkünften der Psychiatrie, fernab von
Städten, vergessen. Erst in den 1960er Jahren begannen vereinzelte Stimmen, dieses System
zu hinterfragen.

Noch 1973 sprach die Enquête-Kommission des Bundestags von „brutaler Realität“ und „nicht
hinnehmbaren Verhältnissen“ in der bundesdeutschen Psychiatrie. Der Psychiater und
Zeitzeuge Heinz Häfner resümierte später: „Die Enquête war ein Akt der verspäteten
Zivilisierung. Sie war die erste echte Hinwendung zur Humanität in der Geschichte der
deutschen Psychiatrie“.

Die Enquête als Wendepunkt (1975)
Die Psychiatrie-Enquête des Bundestags stellte die Zustände offen bloß. Sie forderte eine
radikale Wende: Weg vom Verwahren, hin zu gemeindenaher, menschenwürdiger Versorgung.
Sozialpsychiatrische Zentren, insbesondere im Rheinland, wurden konkrete Bausteine dieser
Reform.

Sozialpsychiatrische Zentren: gemeindenahe Versorgung
Psychisch kranke Menschen wurden nicht mehr aus dem Alltag und Lebensraum gerissen.
Hilfen sollten dort ansetzen, wo Menschen leben: im häuslichen Umfeld, im Stadtteil, in der
Gemeinde. Ambulante Angebote wie SPZ, begleitetes Wohnen, Tagesstätten und mobile
Dienste ersetzten zunehmend die stationäre Langzeitunterbringung. Im Zentrum stehen heute
Teilhabe statt Ausgrenzung, Unterstützung und Personenzentrierung statt Zwang. Aus „Irren“,
„Kranken“ und „unwertem Leben“, sind Expert*innen in eigenen Angelegenheiten geworden.

Dazu eine offizielle Definition von der AGpR (Arbeitsgemeinschaft Gemeindepsychiatrie
Rheinland e. V.): SPZ sind essenzielle Bausteine und Lotsen in der sozialpsychiatrischen
Versorgungslandschaft, die durch Niederschwelligkeit und Personenzentrierung
gekennzeichnet sind. Sie arbeiten sozialträgerübergreifend und sind aktiv an Netzwerken
beteiligt. Ob Krisensituation, Fragen von Betroffenen, Angehörigen oder Nutzenden, zu
psychischen Krankheitsbildern, Unterstützungsmöglichkeiten und Psychoedukation oder zur
Prävention, berät und unterstützen die SPZ. Dabei gelten die Prämissen der Ressourcen-,
Lösungs- und Stärkenorientierung, der Abbau von Barrieren, die Teilhabe im Wege stehen.
Unabhängig von Schwere oder Intensität der „psychischen Erkrankung“. Flankiert werden die
Prämissen durch die Konzepte Recovery, Empowerment, Niederschwelligkeit und
Sozialraumorientierung. Dabei spielen Status, Religionszugehörigkeit, Geschlecht, Sprache
oder kultureller Hintergrund keine Rolle.

Ein Beispiel gelebter Reform: SPZ Köln-Porz
Wie aus den Leitlinien der Psychiatriereform konkrete, lebensnahe Hilfen entstanden, zeigt
das SPZ Köln-Porz. Hier wird sichtbar, wie gemeindenahe Versorgung, Teilhabe und
persönliche Unterstützung im Alltag der Nutzenden heute gestaltet werden können.
Das SPZ Köln-Porz ist die erste Anlaufstelle für Menschen mit psychiatrischen Diagnosen,
psychischen Problemen, mentalen Krisen oder deren Angehörige. Ohne bürokratische Hürden
oder endlose Wartezeiten treffen Expert*innen in eigenen Angelegenheiten auf empathische
offene Ohren von Expert*innen für Lösungsprozesse.

Kontrastierend zur naturwissenschaftlichen Disziplin der Psychiatrie, die von kleinen
Zeitfenstern und einem defizitären „Krankheitsblick“ geprägt ist und Seelenheil qua Medizin
behandelt, geht es im SPZ um die soziale Dimension psychischer Sensationen. Deutlich wird
der Gegensatz im Bereich der Lösungen: die Psychiatrie hat bereits vorgefertigte Lösungen
für alle psychischen Probleme in Form von Diagnostik und entsprechender Behandlung. Durch
die ungleiche Verteilung des Expertentums, Fachärzteschaft vs. Patient*in, entsteht ein
Ungleichgewicht in der Beziehung, das im SPZ aufgelöst wird.

Im SPZ treffen Expert*innen in eigenen Angelegenheiten auf Expert*innen für
Lösungsprozesse. Die Expertise ist auf beiden Seiten gleichmäßig verteilt. Das bedeutet:
Expert*innen für eigene Angelegenheiten liefern ihre Expertise und Inhalte für die Expert*innen
für den Lösungsprozess. Gemeinsam werden individuelle, anschlussfähige und
personenzentrierte Lösungen kreiert. Anstatt Defizite und „kranke Anteile“ zu fokussieren,
werden individuelle Möglichkeiten und Ressourcen in den Blick genommen, um Perspektiven
zu eröffnen, Neues auszuprobieren und „einzuüben“, zu begleiten und zu verselbstständigen.
Voller Neugierde für das Gegenüber werden Türen geöffnet, Rückenwind gegeben,
gemeinsamen Erlebnissen ermöglicht, um den Grundstein für Wachstum, Veränderung und
Hoffnung zu legen.

Grundlegend dabei ist die Haltung: also der Blick auf das Gegenüber. Das SPZ als ein Raum
der Begegnung, zeichnet sich durch Empathie und einer bedingungslosen Annahme des
Gegenübers aus, gepaart mit einer symmetrischen, liebevollen und verbindlichen
Beziehungsgestaltung.

Das Herzstück: die Kontakt- und Beratungsstelle
Der Weg ins SPZ führt im Idealfall über die offene Sprechstunde (ohne Anmeldung, mit wenig
Wartezeit) oder manchmal auch spontan „zwischen Tür und Angel“. In einem Erstgespräch
(Clearing) werden Bedürfnisse und Anliegen gehört. Manchmal geht es nur um das Einholen
einer Information, manchmal um eine Weitervermittlung zu einer spezialisierten Stelle und
manchmal hilft einfach nur zuhören. Anderen hilft eine Sequenz von 10 Sitzungen
systemischer oder psychosozialer Beratung oder die Anbindung an die vielfältige
Angebotsstruktur in der Kontaktstelle oder an unseren ambulanten Bereich.

Die Kontaktstelle eröffnen einen psychisch-emotional sicheren Raum, der Ausprobieren und
Lernen, sowie Gemeinschaft unter Gleichgesinnten oder Ausflüge in der Gruppe ermöglicht.
Die Angebote reichen von der Bewegungs- und Sportgruppe, über Kunsttherapie, Kreativ-,
Frauen- und Angehörigengruppe, bis hin zu verschiedenen Ausflügen. Dazu gehören
beispielsweise Bootsfahrten oder Besuche im Zoo und auf Weihnachtsmärkten. Ergänzt
werden die Angebote durch gemeinsames Frühstücken oder Brunchen. Aber auch
Angehörigen- und Selbsthilfegruppen oder Themen wie Prävention und Psychoedukation,
finden ihren Platz.

Neben dem Austausch über Tipps und Erfahrungen zu Bewältigungsstrategien, unterstützen
sich Nutzende beispielsweise durch gegenseitige Begleitungen bei Arztbesuchen. Andere
berichten wiederum wie wichtig Gemeinschaft, Verbundenheit, Akzeptanz, Anerkennung und
Tagesstruktur sind, um mentale Tiefen zu überwinden. Grundsätzlich richtet sich das
facettenreiche Programm an den Bedürfnissen und Interessen der Nutzenden aus, die
wiederum im Nutzenden-Beirat organisiert sind.

Ambulante Begleitung im eigenen Lebensumfeld
Die Bausteine der Kontakt- und Beratungsstelle werden durch den ambulanten Bereich
ergänzt und abgerundet. Hier stehen verschiedene Möglichkeiten der ambulanten Begleitung
und Unterstützung zur Verfügung. Das klassische BeWo (Begleitetes Wohnen) wird durch das
APPV-Modellprojekt (ambulante psychiatrische Pflege und Versorgung) der AOK ergänzt. Die
Niederschwellige Wiedereingliederungshilfe (NSE), in Kooperation mit dem
Sozialpsychiatrischem Dienst der Stadt Köln, rundet das Angebot ab. Ambulante Begleitung
bedeutet: eine strukturierte, regelmäßige, intensive und längerfristige Begleitung und
Unterstützung, im Lebensraum der Nutzenden, mit einer festen Bezugsbetreuung. Die o.g.
Haltung bildet sich auch im ambulanten Setting ab.

Sinn, Zweck und Ziel für alle Bereiche des SPZ können vereinfacht und verkürzt als Hilfe zur
Selbsthilfe beschrieben werden. Das Wort Hilfe ist dabei dahingehend zu verstehen, dass
individuelle, bedürfnis- und personenzentrierte Lösungen, in Zusammenarbeit mit den
Nutzenden erarbeitet werden, um Teilhabe an Gesellschaft zu ermöglichen. Konkret kann das
bedeuten, dass ein größtmögliches Maß an Unabhängigkeit, Lebensfreude und
Selbstständigkeit erreicht wird, um ein Leben nach eigenen Wünschen und Plänen zu
ermöglichen und zu gestalten. Auch wenn möglicherweise Symptome bzw. limitierende
physische oder psychische Faktoren vorhanden sind.

Zahlen, Daten, Fakten
Das SPZ Köln-Porz öffnete 1994 seine Türen und ist für den Stadtbezirk 7, also für Eil, Elsdorf,
Ensen, Finkenberg, Gremberghoven, Grengel, Langel, Libur, Lind, Poll, Porz, Urbach, Wahn,
Wahnheide, Westhoven und Zündorf, zuständig.

Im Stadtteil Köln-Porz leben ca. 115.000 Menschen, von denen sich ca. 62.605 im „statistisch
relevanten Alter“, zwischen 18 und 60 Jahren, befinden. Ein Blick in die Statistiken zeigt, dass
jedes Jahr in Deutschland 27,8% aller Erwachsenen psychisch erkranken. Die Prävalenz auf
Köln-Porz heruntergerechnet bedeutet: jedes Jahr trifft 17.405 Menschen in Köln-Porz eine
psychische Erkrankung. Diese Zahl kumuliert mit den bestehenden psychisch erkranken
Menschen. Hinzu kommen oft Angehörige, die Hilfe und Unterstützung suchen, weil sie mit,
bis dato unbekannten, Situationen konfrontiert werden.

Während der grundsätzliche Bedarf hoch ist, Tendenz steigend, nimmt die Quantität der
psychiatrischen Versorgung eher ab. Termine bei Fachärztinnen und Ärzten für Psychiatrie, im
Bereich der Psychotherapie, Institutsambulanzen oder Psychiatrischen Kliniken, sind
Mangelware und mit sehr langen Wartezeiten verbunden, während auf der anderen Seite, bei
Betroffenen und Angehörigen, der psychische, aber auch manchmal der existenzielle
Leidensdruck hoch ist. Dieser Trend bildet sich in den Zahlen des SPZ-Porz wieder. Das
Personal wurde in den letzten zwei Jahren, auf 17 Mitarbeitende, fast verdreifacht.

2024
Beratungsgespräche: 2032
Anzahl Besuche der Kontaktstelle: 3383 (exkl. Beratungen)
Gruppenangebote: 494
Ambulant betreute Menschen: 117

Psychiatrie bleibt politisch
Psychiatrie war nie unpolitisch – sie war Spiegel gesellschaftlicher Ordnungen. Heute, im
Erstarken rechtspopulistischer und rechtsextremer Strömungen, geraten Reformideen unter
Druck. Psychisch kranke Menschen werden erneut als „gefährlich“, als „Risiko für die
Gesellschaft“ eingestuft. Es gibt erste Versuche aus der Politik, Melderegister zu erstellen. Die
NS-„Euthanasie“ begann nicht in Gaskammern, sondern in Begriffen: „lebensunwert“,
„nutzlos“, „Ballastexistenz“. Eine Demokratie muss wachsam bleiben – Sprache ist nie
harmlos, die Sprache der Ausgrenzung und Stigmatisierung hat gefährliche Tradition – und
beginnt lange vor der Tat. Die „gefährlichen Irren“ von damals sind zu wertvollen Mitgliedern
unserer Gesellschaft geworden und das muss so bleiben. Ein Rückschritt aufgrund politischer
Irrwege wäre fatal. Mit Blick auf die lokalen und globalen Bühnen der Politik und ihren
gesellschaftlichen Erscheinungen stellt sich die altbekannte Frage, ob wir womöglich die
Falschen behandeln.

Ausblick: Haltung zeigen
Gemeindepsychiatrie ist mehr als Versorgung – sie ist Ausdruck eines Menschenbildes. Sie
muss heute mehr denn je Haltung zeigen: Gegen Entsolidarisierung, gegen Abwertung, für
eine Gesellschaft, in der Menschen mit psychiatrischen Diagnosen nicht stigmatisiert, sondern
als Teil menschlicher Vielfalt anerkannt werden. Schließlich kann es jede und jeden von uns,
jederzeit, treffen. Die Wahrscheinlichkeit für eine psychische Erkrankung ist hoch: jedes Jahr
trifft es ca. 28% aller erwachsenen Menschen, also fast jeden Dritten.

Matthias Reuter

Kommentar zum Koalitionsvertrag mit dem Fokus “Pflege”

Kommentar zum neuen Koalitionsvertrag mit dem Fokus auf das Thema „Pflege“

Köln braucht mittelfristig 40 stationäre Einrichtungen mehr. 30% aller Fachkräfte gehen in den nächsten Jahren in Rente. Wir brauchen mehr Migration, um unsere alten Menschen überhaupt angemessen versorgen zu können. Und das Pflegeversicherungssystem muss dringend reformiert werden, war unsere Feststellung vor der Bundestagswahl. Was bringt der Koalitionsvertrag? Detlef Silvers, Geschäftsfeldleitung Alter & Pflege, kommentiert:

Neben Zuwanderung und globaler Wirtschaft, trotz Ukrainekrieg und Sicherheitsinteressen, gibt es die seit Jahren offene Frage der Sicherung der Pflege unter den Herausforderungen des demographischen Wandels. Wie wird die steigende Zahl pflegebedürftiger, alter Menschen bei der zugleich sinkenden Zahl pflegender Angehörige und professioneller Pflegekräfte zukünftig versorgt? Und wie bleibt dieser Zeig der sozialen Gesetzgebung dauerhaft finanzierbar?

Hat die zukünftige Bundesregierung hierzu Antworten gefunden?

Detlef Silvers, Leiter des Geschäftsfeldes Alter und Pflege der Caritas Köln, ordnet ein:

Die Bundesregierung hat im neuen Koalitionsvertrag Reformen für die Pflege angekündigt, diese aber inhaltlich wenig konkretisiert. Zielformulierung ist eine „nachhaltige, bezahlbare und bedarfsgerechte pflegerische Versorgung in ganz Deutschland“. Im Zentrum steht eine „umfassende Pflegereform, die sowohl strukturelle als auch finanzielle Herausforderungen der kommenden Jahre adressieren“ soll. Das klingt schön, bleibt aber wenig konkret.

Die Koalition plant eine „Neuordnung der Leistungen der Pflegeversicherung“. Diese sollen gebündelt, vereinfacht und stärker auf die tatsächlichen Bedürfnisse ausgerichtet werden. Besonders im Fokus steht dabei die Stärkung der ambulanten und häuslichen Pflege. Angehörige, die Pflege leisten, sollen durch gezielte Maßnahmen entlastet und besser unterstützt werden – etwa durch klare Leistungen in Akutsituationen und eine verbesserte Vereinbarkeit von Pflege und Beruf.

Keine Informationen zur Reform der Beitragserhebung oder zum Einstieg in die Bürgerversicherung, keine Antworten zur Finanzierung.

Die inhaltliche Ausarbeitung der Reform soll eine Bund-Länder-Kommission unter Einbindung der kommunalen Spitzenverbände übernehmen. Diese soll unter anderem den Leistungsumfang prüfen, Modelle wie „stambulant“ evaluieren und Vorschläge zur Begrenzung der pflegebedingten Eigenanteile erarbeiten. Das ist einerseits nachvollziehbar, da steigende Pflegekosten ohne eine im Kern veränderte Finanzierung der Pflegeversicherung am Ende bei den Kommunen und Ländern „hängen bleiben“. Auch versicherungsfremde Leistungen wie Rentenbeiträge für pflegende Angehörige sollen auf ihre Systematik hin überprüft werden. Die Ergebnisse werden für Ende 2025 erwartet. Wir sind gespannt.

Noch vor Inkrafttreten der großen Reform will die Regierung kurzfristige gesetzliche Änderungen umsetzen. Geplant sind neue gesetzliche Grundlagen zur Stärkung der Pflegekompetenz, der Pflegeassistenz sowie die Einführung der „Advanced Practice Nurse“. Mehr Kompetenzen und Aufgaben für noch weniger fachliche qualifizierte Pflegefachkräfte?

Pflegekräfte sollen außerdem durch ein Bürokratieentlastungsgesetz deutlich entlastet werden. Vorgesehen ist ein umfassender Praxis-Check aller Regelungen im SGB XI sowie der Abbau pandemiebedingter Berichtspflichten. Künftig sollen KI-gestützte Pflegedokumentationen erlaubt und das Berichtswesen vollständig digitalisiert werden. Kontrollinstanzen wie Medizinischer Dienst und Heimaufsicht sollen besser abgestimmt werden, um Doppelstrukturen abzubauen. Was halten wir davon? Aktuell gelingt uns in Deutschland noch nicht einmal die elektronische Patientenakte oder die fristgerechte Umsetzung der TI-Infrastruktur zum 30.06.2025.

Unsere Forderung lauten weiter:

  • Ambulante und stationäre Pflegeangebote müssen dringend ausgebaut werden.
  • Wir müssen Fachkräfte für die Zukunft gewinnen durch faire Arbeitsbedingungen und Ausbildung.
  • Wir brauchen seniorengerechten, bezahlbaren Wohnraum mit Assistenzdiensten in unseren Veedeln.
  • Die offene Seniorenarbeit und Beratung muss dauerhaft finanziert werden zur Entlastung und Teilhabe.
  • Die Kommunen müssen ihrer wichtigen Aufgabe nachkommen können, dafür braucht es gute Entscheidungen aus Berlin. Pflege stärken!

Unter dem Link finden Sie außerdem das Positionspapier der Caritas Köln zum Thema „Zukunft der Pflege in Köln“:

https://www.caritas-koeln.de/export/sites/ocv/.content/.galleries/downloads/Positionspapier_Zukunft-Pflege.pdf

Kommentar zum Koalitionsvertrag mit dem Fokus auf die Themen Migration und Flucht

Kommentar zum neuen Koalitionsvertrag mit dem Fokus auf die Themen Migration und Flucht

von Svenja Mattes (Leistungsbereichsleitung Integration & Beratung der Caritas Köln)

Der neue Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD setzt in Fragen von Migration und Fluchtpolitik in weiten Teilen auf Kontinuität zum Sondierungspapier – und bekräftigt damit auch viele der bereits kritisierten Vorhaben. Aus unserer Sicht offenbart sich darin ein beunruhigender Trend: Statt menschenrechtsorientierter Schutzpolitik dominiert eine Logik der Abwehr, Abschottung und Rückführung.

Familien gehören zusammen

Besonders schmerzlich ist der Beschluss, den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten für mindestens zwei weitere Jahre auszusetzen – mit der Option auf Verlängerung. Damit wird der Schutz der familiären Einheit de facto ausgehebelt. Die Folgen dieser Praxis – Verzweiflung, Einsamkeit, psychische Belastung – sind für viele Menschen bereits heute spürbar. Für uns als Caritasverband ist klar: Der Schutz von Ehe und Familie gilt für alle Menschen – nicht nur für jene mit anerkanntem Flüchtlingsstatus. Wenn Frauen und Kinder dadurch gezwungen sind, gefährliche Fluchtrouten zu wählen, wird Politik zur Mitverursacherin von Leid.

Ein neues Kapitel der Ausgrenzung

Besonders besorgniserregend ist die geplante Erweiterung der Liste sogenannter „sicherer Herkunftsstaaten“. Nicht nur sollen Algerien, Indien, Marokko und Tunesien ohne differenzierte Prüfung als sicher eingestuft werden – die Bundesregierung will sich auch die Möglichkeit schaffen, die Entscheidung zur Einstufung eines Staates künftig per Rechtsverordnung zu treffen, ohne Zustimmung des Bundesrats. Neu ist zudem, dass Staaten mit einer Anerkennungsquote von unter fünf Prozent über fünf Jahre pauschal als sicher gelten sollen. Diese Herangehensweise missachtet die individuellen Fluchtgründe und reduziert komplexe menschliche Schicksale auf statistische Werte. Sie widerspricht unserem Menschenbild, das jede Person als einzigartig und schutzwürdig betrachtet.

Ein Ende der Solidarität?

Die geplante Beendigung freiwilliger Bundesaufnahmeprogramme stellt einen tiefen Einschnitt in die humanitäre Verantwortung Deutschlands dar. Statt neue, sichere Zugangswege zu schaffen, werden bestehende Brücken eingerissen. Vor dem Hintergrund des Bundesaufnahmeprogramms für Afghanistan, das bislang nur einem Bruchteil der eigentlich berechtigten Personen die Möglichkeit zur Einreise gegeben hat, ist dies besonders dramatisch. Zusagen der Regierung, Menschen in Not zu unterstützen, scheinen ein Lippenbekenntnis zu sein. In einer Zeit, in der weltweit Millionen Menschen auf der Flucht sind, sendet diese Entscheidung ein fatales Signal.

Abschiebungen um jeden Preis

Mit dem Beschluss, Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan wieder aufzunehmen, wird eine rote Linie überschritten. Beide Länder gelten weiterhin als unsicher; funktionierende staatliche Strukturen fehlen, und Berichte über Gewalt und Verfolgung sind allgegenwärtig. Rückführungen unter diesen Umständen sind aus menschenrechtlicher Sicht nicht zu rechtfertigen. Dass hierfür Verhandlungen mit Akteuren wie der Taliban notwendig werden, zeigt die politische und ethische Absurdität dieses Vorhabens. Der Schutz vor Gefahr darf nicht relativiert werden – auch nicht aus innenpolitischem Kalkül.

Abkehr von Erfolgsrezepten

Kritisch bewerten wir auch die Überführung von Geflüchteten Ukrainer*innen ins System des Asylbewerberleistungsgesetz. Statt die ersichtlichen Erfolgsfaktoren der letzten Jahre, wie etwa direktem Zugang zu Arbeit- Sprache und Wohnung, auf weitere Geflüchteten-Gruppen auszuweiten, werden hierdurch die Integrationswege ukrainischer Geflüchteter unnötig erschwert und die kommunalen Sozialämter zusätzlich belastet.

Positive Ansätze – aber nicht ausreichend

Es gibt auch Lichtblicke im Koalitionsvertrag: Die Beschleunigung von Anerkennungsverfahren auf maximal acht Wochen ist ein wichtiger Schritt für eine erfolgreiche Integration. Auch die Verstetigung von Beratungsstrukturen bei der Bundesagentur für Arbeit und die Aufstockung des Kinder- und Jugendplans (KJP) können integrationsfördernd wirken. Ebenfalls begrüßen wir die geplante Neuauflage des Nationalen Aktionsplans gegen Rassismus – hier bleibt zu hoffen, dass er nicht bei der Symbolik stehen bleibt, sondern spürbare Wirkung entfaltet.

Fazit: Verantwortung sieht anders aus

Insgesamt lässt der Koalitionsvertrag kaum erkennen, dass das neue Bündnis bereit ist, sich den globalen Herausforderungen von Flucht und Migration mit Empathie, Verantwortung und Weitsicht zu stellen. Stattdessen wird auf kurzfristige innenpolitische Beruhigung gesetzt – auf Kosten der Schwächsten. Dies ist nicht nur aus humanistischer Perspektive abzulehnen, weite Teile des Koalitionspapieres geben auch auf bestehende gesellschaftliche Herausforderungen wie die Überalterung der Bevölkerung, sowie den sich weiter verschärfenden Arbeits- und Fachkräftemangel, die falschen Antworten. Wir fordern eine Migrationspolitik, die den Menschen ins Zentrum rückt, die Schutzbedürftigen mit offenen Armen begegnet und den Geist der Solidarität nicht preisgibt.

 

Erasmus-Projektgruppe zu Gast in Köln

Drei Tage lang war die internationale Gruppe des Europäischen Ehrenamts-Projekt „Gemeinsam engagiert“ in Köln zu Besuch, um sich intensiv mit der Frage zu beschäftigen: Wie können wir Menschen, die unter besonderen Belastungen stehen, für gesellschaftliches Engagement gewinnen? Denn: Engagement fördert Teilhabe – und wenn sich Vielfalt im Ehrenamt abbildet, bereichert das unsere Gesellschaft.

Unsere Caritas Köln Kolleginnen Simone Streif und Anna Breuer-Wirges organisierten ein tolles Programm für die Teilnehmenden von Caritas Österreich, SKM, Caritas im Erzbistum Köln, KVW Bildung und EMJA Ostbelgien.

 

Tag 1 unseres Erasmus-Projekts: Engagement & Teilhabe für alle! 

Zu den Menschen, die wir gezielt ansprechen möchten, gehören z. B. Geflüchtete, Menschen mit Suchterfahrungen, psychischen oder körperlichen Einschränkungen. Doch wie schaffen wir Zugangshürden ab? Welche Rahmenbedingungen braucht es?

Inspiration fanden wir im Efa-Projekt des SKM, das Ehrenamt gezielt für belastete Menschen öffnet.  Anschließend besuchten wir das DeFlo in Nippes, ein Projekt für Menschen mit Brüchen und Suchterkrankung. Unter einem Dach befinden sich betreutes Wohnen, Beschäftigung in einer Schreinerei und als Angebot für das gesamte Veedl ein Café, ein Möbelhaus und ein Second-Hand-Shop. Ohne Ehrenamt wäre das nicht möglich!

Ein spannender, erkenntnisreicher Tag, der uns gezeigt hat: Engagement ist eine Brücke zur gesellschaftlichen Teilhabe!

Was es dafür braucht, ist eine ausreichende Finanzierung, um eine gute Begleitung der Ehrenamtlichen zu ermöglichen!

 

 Tag 2: Wie inklusiv ist unser Engagement? 

Heute haben wir den Blick nach innen gerichtet: Wie sehr öffnen wir als Organisationen unser Ehrenamt für Menschen mit besonderen Belastungen? Gemeinsam haben wir analysiert, diskutiert und Ideen entwickelt, um noch mehr Zugänge zu schaffen.

Besonders spannend war unser Besuch im sozialpsychiatrischen Zentrum der Caritas Köln, wo wir mit Ehrenamtlichen ins Gespräch kamen, die selbst psychische Herausforderungen meistern. Ihre Geschichten haben uns tief beeindruckt: Wenn das Ehrenamt zu ihnen passt, sind sie oft über Jahre mit Herz und Zuverlässigkeit dabei.

Sie sprachen alle davon,

– wie sehr das Engagement sie bereichert und

– wie wichtig es für sie ist, mit „normalen“ Menschen gemeinsam ehrenamtlich im Hühnerstall des SPZ, beim wöchentlichen Müllsammeln oder der Pflege des Bücherschranks in der Südstadt zusammen zu kommen.

 

 

 

 

 

 

Zum krönenden Abschluss gab es eine Stadtführung und ein gemütliches Beisammensein im Brauhaus. Denn zum vollen Köln-Erlebnis gehören natürlich auch Brauchtum & Kulinarik!

Wir nehmen aus diesen Tagen wertvolle Erkenntnisse mit: Ehrenamt braucht Offenheit – und Offenheit schafft neue Möglichkeiten!

Tag 3: Wie geht’s weiter?

Heute haben wir unseren Blick in die Zukunft gerichtet: Was machen wir aus den gesammelten Erfahrungen und Ideen zu inklusivem Engagement?

Ein zentrales Ziel unseres Erasmus-Projekts ist es, Eckpunkte für inklusives Engagement zu erarbeiten. Gemeinsam mit unseren Kolleg*innen vom DiCV und SKM werden wir die Ergebnisse des Workshops zunächst unseren Kooperationspartner*innen aus dem Austausch vorstellen und sie dann in unseren Einrichtungen mit Leben füllen.

Als perfekte Überleitung zum nächsten Themenschwerpunkt „Nachbarschaftshilfe“, den wir im Juni in Graz vertiefen werden, haben wir die Kölsch Hätz Nachbarschaftshilfen vorgestellt. Sie organisieren im Veedel Nachbarschaftshilfe, um gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen – ein wunderbares Beispiel dafür, wie Engagement Brücken baut.

In der abschließenden Feedbackrunde wurde übrigens unsere Geschäftsstelle als „schönster Tagungsort Kölns“ gelobt – und das fantastische Essen, mit dem uns die Ehrenfelder Hauswirtschaft und das Café Querbeet versorgt haben, ebenfalls. Ein herzliches Dankeschön dafür!

Unser Fazit: Aus den intensiven Diskussionen und Begegnungen ziehen wir viele wertvolle Impulse: Nur durch eine offene und inklusive Haltung kann gesellschaftliches Engagement nachhaltig gefördert werden. 

Ein Zwischenruf: Nachhaltige Perspektiven für Einwanderungspolitik

Ein Zwischenruf 

… der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege

10 Handlungsmaxime

Mit diesem Zwischenruf möchten die Verbände zu einer besonnenen und evidenzbasierten Debatte über Flucht, Migration und Integration aufrufen. Es steht für unsere Gesellschaft mittlerweile viel auf dem Spiel. Aufgehängt am Thema Migration werden zunehmend Zweifel an der Handlungsfähigkeit unserer demokratischen Institutionen gesät und radikale Forderungen laut, welche den gesellschaftlichen Zusammenhalt infrage stellen. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland stehen für eine demokratische und inklusive Gesellschaft ein. Handlungsleitend sind Humanität, das Ziel einer evidenzbasierten und bedarfsgerechten Migrations- und Integrationspolitik sowie die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Dies lässt sich auf die folgenden 10 Handlungsmaxime herunterbrechen:

1. Die Menschen in den Mittelpunkt stellen
Migration ist nicht immer Ergebnis einer selbstbestimmten Entscheidung, sondern häufig durch große Not verursacht. Sie bedeutet meist, viel im Herkunftsland zurückzulassen. Die Chancen von Migrant*innen auf Teilhabe in Deutschland unterscheiden sich erheblich. Umso wichtiger ist es, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Ankommen und gesellschaftliche Teilhabe für alle schnell möglich sind. Administrative Hürden sollten so gering wie möglich gehalten werden.

2. Humanität wahren
Wer in Deutschland Schutz sucht, muss menschenwürdig behandelt werden und wer einen Schutzanspruch geltend macht, ein faires Verfahren erhalten. Die Debatte fokussiert aktuell auf Kontrolle, Abschreckung und Restriktionen wie Zugangsbeschränkungen und haftähnliche Zustände. Diese Maßnahmen gefährden humanitäre Mindeststandards und damit unsere offene Gesellschaft. (Migrations-)politische Erwägungen finden ihre Grenzen an der unantastbaren Menschenwürde.

3. Eine evidenzbasierte Migrations- und Integrationspolitik vorantreiben
Die Migrationsdebatte wird oft von Mythen, Ideologien und Instrumentalisierung überlagert. Dies führt zu Unsicherheit, Falschbehauptungen und im schlimmsten Fall zu einer ineffektiven, adhoc getriebenen Migrationspolitik. Scheinlösungen und spaltende Narrative müssen hinterfragt werden, Migrations- und Integrationspolitik muss langfristig gedacht sein und auf Fakten basieren.

4. Politik bedarfsgerecht gestalten
Rein negative Narrative über Migration unterminieren Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Fehlende Zugangswege führen aus unserer Erfahrung heraus kaum zu weniger Migration, sondern dazu, dass sich Menschen auf immer gefährlichere Migrationswege begeben. Wir begrüßen positive Öffnungen im Bereich Fachkräftezuwanderung und Zugang zum Arbeitsmarkt. Es braucht darüber hinaus realistischen und zugleich mutigen politischen Gestaltungswillen für eine vorausschauende Migrations- und Asylpolitik. Unabhängig davon müssen die großen strukturellen Defizite bei Wohnungsbau, Kitabetreuung und Schulwesen angegangen werden. Auch eine inklusive und bedarfsgerechte Ausgestaltung der sozialen Infrastruktur ist Grundlage für eine nachhaltige Politik und deren Akzeptanz.

5. Globale und europäische Perspektiven einnehmen

Migration und Flucht sind globale Phänomene, die eine Politik erfordern, welche europäische und globale Perspektiven mit einbezieht. Hierzu gehört der internationale Wettbewerb um Arbeits- und Fachkräfte und die Tatsache, dass der weitaus größte Teil aller Menschen auf der Flucht Binnenvertriebene sind oder in der Region bleibt, muss der internationale Schutz und die Versorgung vor Ort gestärkt werden. Insgesamt erwarten wir eine Politik, die mit Partnerländern in enger Abstimmung und auf Augenhöhe entwickelt wird.

6. Einen ganzheitlichen Diskurs führen
Migration ist Normalität und historische Selbstverständlichkeit einer jeden Gesellschaft. Sie bringt Chancen, aber auch Herausforderungen mit sich. Ein besonnener, aufgeklärter und ausgewogener Diskurs ist die Voraussetzung für eine informierte Migrationspolitik, die allen zugutekommt. Migration ist eine Transformationsaufgabe, die die gesamte Gesellschaft betrifft.

7. Debatten um innere Sicherheit von Migrationsdebatte trennen
Die Vermischung der Themen innere Sicherheit und Migration führt zu einer problematischen Verzerrung des öffentlichen Diskurses. Migration wird dabei oft als Bedrohung dargestellt, was Ängste schürt und Vorurteile verstärkt. Das führt zu ineffektiven Maßnahmen und verhindert konstruktive Lösungen. Realen Gefahren wie Kriminalität und Extremismus sollte sicherheitspolitisch und durch Stärkung von Prävention be-gegnet werden.

8. Den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken
Migration ist seit jeher Teil von gesellschaftlichen Veränderungen auf kultureller, wirt-schaftlicher und politischer Ebene. Diese Veränderungsprozesse erzeugen bei vielen Menschen Stress und Überforderung. Umso wichtiger ist es, Räume für Dialog und Austausch zu schaffen, um gemeinsam an einer inklusiven Gesellschaft zu arbeiten und die Gestaltungsspielräume für alle sichtbar und nutzbar zu machen. Für den so-zialen Frieden in Deutschland ist es entscheidend, dass alle Menschen hier Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen haben. Je besser diese Systeme ausgestaltet und koordiniert sind, desto größer ist die gesellschaftliche Akzeptanz.

9. Gegen Rassismus & Diskriminierung vorgehen
Die rassistische Diskriminierung in Deutschland nimmt stetig zu. Auch antisemitisch motivierte Beleidigungen und Übergriffe haben jüngst massiv zugenommen. Gleichzeitig ist das Bewusstsein für rassistische und antisemitische Diskriminierung und ihre Folgen in der Gesamtbevölkerung eher gering. Diskriminierung kann beim Zugang zu Bildung, Wohnraum und Arbeit erhebliche Hindernisse schaffen und die soziale Teilhabe stark erschweren. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sich für ein tolerantes und vielfältiges Miteinander einzusetzen und Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus entschlossen zu bekämpfen.

10 . Visionen aktiver Teilhabe in einer pluralen Gesellschaft stärken
Die Verbände der BAGFW leitet die Vision einer pluralen Gesellschaft, in der alle Menschen gleichermaßen die Möglichkeit der aktiven politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Teilhabe haben. Auf dem Weg dahin sind Haltungen und Einstellungen zu überdenken, Aushandlungsprozesse neu zu finden, Barrieren wie Benachteili-gung und Ausgrenzung zu minimieren und entsprechende Unterstützungsstrukturen nachhaltig zu fördern.

 

Berlin, 27.01.2025
Bundesarbeitsgemeinschaft
der Freien Wohlfahrtspflege e. V.
Evelin Schneyer
Geschäftsführerin

Pflege gestalten: Fachpolitischer Austausch in St. Heribert

Wie können wir die Pflege in Köln zukunftssicher gestalten und welche Wünsche hat die Caritas Köln an die Politik? Verantwortliche und Mitarbeitende der Caritas tauschten sich am Freitag gemeinsam mit Bewohner*innen des Caritas-Altenzentrums St. Heribert und Bundestagskandidat Roman Schulte sowie Ratsmitglied Mechthild Böll, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Rat, zu den drängendsten Herausforderungen in der Pflegebranche aus.

 

Eindeutig ist: Vor der anstehenden Bundestagswahl findet das Thema „Zukunft der Pflege“ in der öffentlichen und politischen Debatte viel zu wenig Beachtung, obwohl bekannt ist, dass es nicht nur in Köln, sondern in ganz Deutschland bei der Pflege von Menschen dringend Antworten auf zentrale Fragen zum Umgang mit dem demografischen Wandel und dem Fachkräftemangel braucht.

 

Die zentralen Herausforderungen:

 Es fehlen Pflegeplätze! Allein in Köln gibt es aktuell 40 Pflegeeinrichtungen zu wenig. Gleichzeitig ist der Bedarf aufgrund der alternden Bevölkerung hoch. In neuen Wohnvierteln werden Pflegeeinrichtungen bereits mitgedacht, hier braucht es einen realistischen Schlüssel von Einrichtungen pro Einwohnerzahl, der auch perspektivisch die Bedarfe deckt. Für bestehende Einrichtungen benötigen Träger wie die Caritas Köln wiederum die Möglichkeiten der Erweiterung, denn aktuell sind die Plätze pro Altenzentrum auf 80 Personen begrenzt. „Die Caritas Köln hat in den letzten zehn Jahren viel investiert, neue Altenzentren gebaut und die bestehenden nach modernstem Standard saniert. Baulich könnten wir unsere Einrichtungen erweitern, aber derzeit sind uns die Hände gebunden“, so Markus Peters, Vorstandssprecher der Caritas Köln. „Es braucht Lösungen für die Refinanzierung der Investitionskosten.“

 

 Fachkräftemangel: 30 % der heutigen Pflegekräfte gehen in den nächsten zehn Jahren in den verdienten Ruhestand. „Die Gewinnung von Mitarbeitenden ist daher eine zentrale Frage, wenn wir den Pflegebedarf sicherstellen wollen. Dafür brauchen wir dringend auch Fachkräfte aus dem Ausland“, so Detlef Silvers, Leiter des Geschäftsfeldes Alter & Pflege in der Caritas Köln. Umso bestürzender sei, dass die aktuellen öffentlichen Diskussionen nur behandelten, wie Einwanderung verhindert werden könne. Silvers: „Die Frage muss vielmehr lauten: Wie bekommen wir Menschen aus dem Ausland möglichst schnell in unseren Arbeitsmarkt integriert? Die Abläufe zur Anerkennung von Abschlüssen und der schnellen Erteilung einer Arbeitserlaubnis müssen dringend verbessert werden.“

 

 Herausforderungen in der Praxis: Die Anforderungen an die Pflege sind gestiegen. Eine Weiterentwicklung der Digitalisierung im Hinblick auf Pflegetechnik, aber auch Dokumentationen können die Pflegekräfte entlasten. Sowohl Mitarbeitende als auch Bewohner*innen wünschen sich mehr Zeit auch für die für soziale Betreuung – denn Pflege ist weit mehr als körperliche Versorgung. Jede Unterstützung ist eine Hilfe, daher war auch der Wunsch der anwesenden Pflegekräfte und Bewohner*innen z.B. nach Menschen aus dem früheren Zivil- oder heutigen Freiwilligendienst sehr nachvollziehbar.

 

 Kosten und Finanzierung: Wie sichern wir die Pflegefinanzierung nachhaltig? Mit Blick auf die Entwicklungen des demografischen Wandels bedarf es einer Reform im System der Sozialversicherung, besonders der Renten- und Pflegeversicherung. Auch die Krankenversicherung wird in Folge der Überalterung der Gesellschaft vor vergleichbaren Anforderungen stehen, wenn auch deren Thematik von Finanzierung und Leistung sich auf alle Altersgruppen der Gesellschaft bezieht. Eine weitere Finanzierung der sozialen Absicherung allein aus Lohnabgaben wird nicht tragfähig sein. Hier braucht es politische Lösungen! 

Wir sagen allen Beteiligten ganz herzlichen Dank für den interessierten und offenen Austausch und freuen uns darauf, diesen Dialog fortzusetzen!

Zum Positionspapier der Caritas Köln