Dass Menschen sich auf den oft gefährlichen und unbekannten Weg machen, um für sich und ihre Familien ein besseres und sicheres Leben zu finden, kann wohl jeder nachvollziehen und keiner ihnen verwehren. Handelt es sich jedoch um Flüchtlinge, kommt das bekannte St. Florians-Prinzip umgehend zum Tragen: „Flüchtlinge ja, aber bitte nicht zu uns und schon gar nicht in meine Nachbarschaft.“
Dass der Weg in ein besseres und sicheres Leben enorme Unsicherheiten und Gefahren bis hin zum Tod birgt, verdeutlicht in diesen Tagen erneut die dramatische Anzahl von Menschen, die ihre Flucht über das Mittelmeer mit ihrem Leben bezahlen mussten.
Wer handelt moralisch bedenklich? Der, der sich auf den Weg in ein sichereres und besseres Leben macht, zwar voller Hoffnung, aber auch Ängsten: Was wird werden, aus ihm, seinen Familienangehörigen, die er zurücklässt, wird er aufgegriffen, gelingt der Transfer in ein vermeintlich sicheres europäisches Land, ob und wie wird er dort aufgenommen?
Der, der an der Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit verdient und mit ihr seinen Gewinn macht, Schiffe und Boote aus Profitgier mit Menschen vollstopft, sie auf ein Himmelfahrtskommando schickt und ihren Tod, ihr Aufgreifen, ihr Zurückschicken in Kauf nimmt – Hauptsache das Geld stimmt?
Der, der es in der Hand hätte, Flüchtlingsschiffe aus humanitären Gesichtspunkten im Mittelmeer frühzeitig zu orten, um Menschenleben zu retten, stattdessen in Radarspähsysteme investiert und überlegt, wie noch größere Auffanglager nach Möglichkeit schon auf dem afrikanischen Kontinent gebaut werden können?
Der, dessen sonstige Solidarität im europäischen Konzert sich in Zurückhaltung übt, wenn es darum geht, die Flüchtlingsströme zur Privatsache der europäischen Mittelmeeranrainerstaaten zu erklären?
Wohl dem, dem es gelingt, seine Interessen so zu kalkulieren und dabei ein ruhiges Gewissen zu haben, für sich alles richtig getan zu haben. Wohl dem, dem es gelingt, hinter den Toten nur Zahlen zu sehen, nicht ihre Gesichter, nicht ihre Geschichten, nicht ihre Hoffnungen, nicht ihre Ängste, nicht den Mut und nicht die Verzweiflung, die es erfordern, ohne schwimmen zu können, ohne Sicherheitsübung und -ausrüstung sich meterhohen Wellen, der Ungnade von Profiteuren schutzlos auszuliefern.
Das Übel bei der Wurzel packen, heißt für mich nicht, Flüchtlinge zu bekämpfen, sie aufzugreifen und zurückzuschicken. Das Übel bei der Wurzel packen, heißt für mich, den organisierten Schlepperbanden den Kampf anzusagen, ihnen das Handwerk zu legen. Das Übel bei der Wurzel packen, heißt für mich, zu versuchen Menschenleben zu retten. Das Übel bei der Wurzel packen, heißt für mich, Fluchtgründen und -ursachen konsequent auf den Grund zu gehen und aktive Hilfe zu leisten, damit eine gerechtere Welt möglich ist.
Die EU muss endlich handeln. Auch die Bundesrepublik ist gefragt. Die Zeit der Schaufensterreden und des politischen Katastrophentourismus ist vorbei. Wie viele tote Menschen wollen wir morgen aus dem Mittelmeer fischen?