Anlässlich des Welt-Autismus-Tages am 2. April hat Iwona Winterscheid aus dem Team des CariPrint-Lettershops aufgeschrieben, wie die Arbeit mit Menschen im Spektrum ihr Leben verändert. Bei CariPrint gibt es eine spezialisierte Arbeitsgruppe für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS). Diese Gruppe bietet Personen einen reizarmen Arbeitsplatz mit speziellen Anpassungen wie Schallschutzdecken und dimmbarem Licht.
Die Arbeit mit Menschen mit ASS ist mehr als nur ein Beruf – Sie ist eine bereichernde Leidenschaft
Wenn ich über meine Arbeit mit „Autisten“ spreche, höre ich oft immer wieder das Gleiche: „Die sind doch alle empathielos und haben keine Gefühle! Und die mögen keine Berührungen und können nicht gut kommunizieren. Außerdem brauchen die alle strikte Struktur, Wiederholung und Ordnung! Aber sind gleichzeitig so schlau, weil die doch alle diese Inselbegabungen haben!“ Doch im Umgang mit Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung (auch ASS oder „im Spektrum“ genannt) wurde mir sehr schnell klar: „Kennst du einen Autisten, kennst du EINEN Autisten!”
Jeder Mensch im Spektrum ist so vielfältig individuell wie jeder andere. Denn JEDER hat seine Art zu kommunizieren, hat seine Hobbies und Vorlieben, nicht nur Menschen im Spektrum. Um meine Arbeit zu verdeutlichen, habe ich mir eine Metapher zurechtgelegt:
„Menschen im Spektrum sind für mich wie ein unbekanntes Land, in das ich reise, ohne irgendwelche Kenntnisse von den dort vorherrschenden Gepflogenheiten, Regeln oder sogar der Sprache.”
Arbeit mit Menschen im Spektrum: Brücken bauen und Barrieren überwinden
Somit bin ich nicht nur „einfach Betreuerin”. Ich bin Reisende, Forscherin, Architektin, Dolmetscherin, Vertraute. Ich erforsche dieses „Land”, baue Brücken, er
lerne die „Sprache“ und unterstütze in der Kommunikation. Ich schaffe eine sichere Umgebung, um Barrieren zu überwinden für ein harmonisches Miteinander. Dabei habe ich gelernt, dass bei Menschen im Spektrum durchaus ein immenses Feingefühl für die Stimmung des Gegenübers und der Gruppe besteht und ein vielfältiges Gefühlsspektrum vorhanden ist. Dass Kontakte immens wichtig sind und die Kommunikation oft einfach nur „anders” ist. Auch Menschen im Spektrum können flexibel sein, wenn sie ihre festen „Ankerpunkte” haben. Mal ehrlich: Brauchen wir die nicht alle?
Durch diese „Reisen” wurde mein eigenes Leben sehr bereichert. Denn sie zeigen mir, dass es oft nicht viele Worte braucht, um verstanden zu werden. Selbst die kleinste Veränderung in einer Routine kann alles bedeuten und man kann mit den einfachsten Mitteln Dankbarkeit zeigen. Ich bekomme eine absolut ehrliche Art der Wertschätzung. Außerdem habe ich gelernt, mich auch für kleinste Kleinigkeiten zu begeistern. Das Auswendigkönnen des Kölner Straßenbahnnetzes inklusive Abfahrtzeiten scheint zunächst sinnlos – doch wenn man, wie ich, auf diese angewiesen ist, freut man sich bei Unregelmäßigkeiten, jemanden in der Nähe zu wissen, der alternative Routen sofort aus dem Repertoire holen kann. Somit hat diese „Unsinnigkeit“ für mich und Andere plötzlich sehr viel Sinn.
Von der Norm lösen
Und Alternative ist hier das Stichwort: Ich habe alternative Wege zum Ziel in allen Bereichen kennengelernt und entdecke täglich mehr! Nur weil gesellschaftlich oft ein bestimmter Weg „die Norm“ ist, bedeutet es nicht, dass nicht auch andere Wege „nach Rom führen“. Denn am Ende zählt das Ergebnis. Somit kann ein Tagesplan dann auch mal aussehen wie ein Busplan.
Auch bei den Worten „Norm“ und „Ergebnis“ fallen mir sofort Erkenntnisse ein, die ich in meiner Arbeit mit den Menschen im Spektrum erlangt habe. Nur weil es die „Norm“ ist, ist es gleichzeitig auch gut? Nur weil ein Ergebnis vorgeschrieben ist, macht es MICH glücklich und ist deswegen erstrebenswert? Die Arbeit mit Menschen im Spektrum hat meinen Horizont auf viele Arten und Weisen erweitert. Ich gehe mit offeneren Augen durch die Welt, bin toleranter gegenüber „alternativen Lebenswelten” und sehe Wege und Möglichkeiten, die mir früher verschlossen waren. All das durch meinen jahrelangen Umgang mit dieser „Behinderung”. Und dafür bin ich unendlich dankbar!