In den zahlreichen Gesprächen der Parteien und den Berichten der Medien über die Bildung einer neuen Bundesregierung spielte immer auch das Thema „Familie“ eine große Rolle: Wird das Kindergeld erhöht? Wie kann die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert werden? Was passiert mit den Kindertageseinrichtungen und Schulen in Deutschland? All das sind Fragen, die in den Forderungskatalogen der Parteien auf ganz unterschiedliche Weise aufgeworfen und beantwortet werden.
Doch was heißt eigentlich „Familie“? Spannend zu beobachten ist, dass die klassischen politischen Initiativen in den meisten Fällen davon ausgehen, dass die Familie aus drei Teilen besteht: Dem Vater, der Mutter und dem bzw. den Kind(ern). Auch die meisten so genannten familienpolitischen Maßnahmen werden in diesem Zusammenhang gefasst. Dabei wandelt sich die Familie genauso, wie sich die Gesellschaft wandelt: Mittlerweile gibt es ganz unterschiedliche „Lebensformen“, die aber, wenn man die Menschen befragt, alle unter dem Begriff der Familie genannt werden: Patchwork-Familien, gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften und (geschiedene) Ehen, kinderlose Ehen, Beziehungen ohne Trauschein mit oder ohne Kindern und viele weitere Formen des Zusammenlebens in einem Haushalt oder an unterschiedlichen Wohnorten. Dazu kommen dann noch Verwandte oder zum Teil Freunde. „Familie“ definiert sich also nicht mehr zwingend über eine verwandtschaftliche Beziehung zueinander.
Wir erleben also, ob wir es wollen oder nicht, einen gesellschaftlichen Wandel der Familie, aber eben auch des Familienbildes. Die Familie geht mit der Gesellschaft: So verschieden, wie die Menschen und Kulturen in unserer Gesellschaft sind, so unterschiedlich wird auch „Familie“ gelebt.
Kommt man jetzt zurück auf das, was größtenteils politisch als „Familienpolitik“ diskutiert wird, finden sich aber viele Lebensformen darin nicht oder nur im Ansatz wieder. Wir brauchen also in Deutschland eine neue Diskussion über Familienpolitik: Sie ist nicht mehr nur eine zentrale Steuerung durch monetäre oder steuerliche Anreize (Kindergeld, Ehegatten-Splitting, etc.), zugeschnitten auf das klassische Familienbild bestehend aus der Eltern-Kind-Beziehung und bildet längst nicht mehr alle Anforderungen aus der Gesellschaft im politischen Handeln ab. Das Festhalten an dem klassischen Familienbild aus (politischer) Ideologie oder Wunschdenken wird also der gesellschaftlichen Realität und den Menschen nicht gerecht und ist zudem politisch anmaßend.
Vielmehr muss es um die Gestaltung der Lebensverhältnisse vor Ort gehen: Familienpolitik muss also weitergedacht werden. Sie betrifft alle Bereiche der (städtischen) Politik und der (Stadt-)gesellschaft. Fragen nach einer guten Lebensmittelversorgung im Stadtteil für alte Menschen und junge Familien, eine gute Anbindung an den Öffentlichen Personennahverkehr, die familiengerechte Gestaltung von öffentlichem Raum (und dabei eben die Berücksichtigung der Bedürfnisse von Familien in jedem Lebensalter und jeder Lebenslage), die Schaffung von innerstädtischem bezahlbarem Wohnraum: All das muss beispielsweise, neben weiteren Themen, unter Familienpolitik zusammengefasst werden. Sie ist Querschnittsthema und gehört als solches auch in das Bewusstsein unserer Entscheider*innen, sollen die Wünsche nach einem Land, in dem alle Menschen nach ihren Anforderungen und Neigungen selbstbestimmt leben können, nicht nur Lippenbekenntnisse bleiben.