Ein Jahr “Wir schaffen das!” – oder doch nicht?

 

Wir schaffen das!
Genau vor einem Jahr hat Angela Merkel mit diesem Satz ein Signal gegeben. Drei Worte mit Sprengkraft. Frau Merkel wollte ausdrücken, dass Deutschland die moralische Verpflichtung und Kraft hat, sich der Flüchtlingskrise zu stellen und tatkräftige Verantwortung zu übernehmen.

Und haben wir’s geschafft ? Ich glaube nein.

Wir haben es geschafft, eine Millionen Flüchtlinge in Notunterkünften und Turnhallen unterzubringen. Wir sind und waren aber nicht in der Lage, die Menschen zu “erfassen” und rechtssichere Asylverfahren für die Menschen sicherzustellen. Wir sind und waren nicht in der Lage, die Traumatisierten zu erkennen und ihrem Gesundheitszustand entsprechend unterzubringen und zu behandeln. Wir sind und waren nicht in der Lage, den Menschen wirkliche Sicherheit und Perspektive zu geben. Unsere Turnhallen, unser Essen aus Plastikschalen, unsere überforderte Verwaltung – nein, wir haben es nicht geschafft.

Und haben wir einen Plan? Nein, auch den Plan haben wir eben nicht: Keiner weiß, wann anständige Asylverfahren sichergestellt sind. Keiner weiß, wo die Wohnungen herkommen sollen, keiner weiß, wie die Arbeitsämter eine vernünftige berufliche Integration auf die Beine stellen sollen.

Nun mag der Leser anders denken. Sagen, dass wir viel geschafft haben: Die unzähligen Willkommensinitiativen, die unendlich wichtigen Hilfen aus katholischen und evangelischen Gemeinden … Stimmt, da ist mehr geschafft, als jeder sich bisher vorstellen konnte.

Aber reicht das? Solange keine einzige Fluchtursache bekämpft ist, solange in Syrien nicht Frieden ist und Afrika seine Menschen nicht ernähren kann, solange die Welt nicht gerechter wird und solange die erste Welt auf Kosten der dritten Welt lebt, solange ist in Wirklichkeit nichts geschafft.

Wohltuend reflektiert und sachlich in einer zunehmend auf den Fugen ratenden Welt

Aktueller könnte die Erklärung des Gesprächskreises „Christen und Muslime“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken kaum sein. Die Erklärung „Keine Gewalt im Namen Gottes! Christen und Muslime als Anwälte für den Frieden“ wurde bereits am 24. Mai 2016 veröffentlicht. Ihr Ton und Inhalt sind Balsam. Kann doch der Eindruck entstehen, uns fliegt gerade die Welt um die Ohren und es gibt nichts mehr außer Trennendem, Fanatischem und Gegensätzlichem.

Schuldfrage? Falsche Frage.

Ob in Würzburg, Ansbach oder Köln – in Deutschland wächst die Liste der Städte, wo es zu Übergriffen oder sogar zu Anschlägen gekommen ist. Die Menschen haben Angst – es gibt kaum jemanden, der nicht mindestens ein mulmiges Gefühl hat, wenn er an Großveranstaltungen denkt bzw. teilnimmt.

Dadurch wird es immer schwieriger, neben dem „Krieg“ – wie Frankreichs Präsident Hollande den Zustand in seinem Land nennt –  auch den Frieden zu sehen, den es mit einem Großteil der Flüchtlinge in Deutschland und Europa gibt. Warum Angela Merkels Willkommenskultur nicht an allem Schuld ist und eine Vereinfachung der Flüchtlingspolitik uns hier nicht hilft, dafür liefert der Spiegel Artikel anregende Argumente.

Fakt ist: 13.700 Flüchtlinge leben derzeit allein in Köln (Stand Juni, Quelle: Stadt Köln). Sie sind schon hier und brauchen Hilfe – Über eine verfehlte Flüchtlingspolitik zu sprechen oder gar die Flüchtlingswelle für den jetzt auch in Europa verstärkten Terrorismus verantwortlich zu machen, ist nicht nur mehr als fragwürdig, sondern bringt uns auch nicht weiter. Weiterlesen

…dass sowas von sowas kommt

Kardinal Marx und Landesbischof Bedford-Strohm sind heute an die Presse gegangen. Sie teilen mit, dass Christen und religiöse Minderheiten in deutschen Flüchtlingsunterkünften nicht flächendeckend und systematisch diskriminiert werden. Soweit die gute Nachricht.

Beide Kirchen stellen aber fest, dass es wohl in Einzelfällen Übergriffe und Diskriminierung gibt und ….. dass diese Übergriffe Ursachen haben.

Die Ursachen liegen eindeutig in schlechten allgemeinen Standards der Flüchtlingsunterkünfte. Fehlende Privatsphäre, fehlende Tagesstruktur, schlecht ausgebildete Sicherheitsleute und fehlende Betreuungskonzepte begünstigen offensichtlich Übergriffe auf religiöse Minderheiten. Weiterlesen

Vorbilder in widersprüchlichen Zeiten

Wir leben in widersprüchlichen Zeiten. Einerseits verfolgen wir auf den Bildschirmen gebannt die Spiele der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich und sehen und bejubeln Teams, die als Nationalmannschaften von Einwanderern erfolgreich sind. Andererseits wissen wir, dass in vielen der Teilnehmerländer, auch bei uns, fremdenfeindliche Parteien an Einfluss gewinnen oder sogar an der Macht sind.

Die Mehrheit der Wähler in Großbritannien hat sich für den Austritt aus der EU entschieden, nicht zuletzt aufgrund einer massiven Angst-Kampagne zum Thema Immigration. Die aufgeheizte Stimmung forderte mit dem abscheulichen Mord an der ebenso EU- wie Einwanderungs- und Flüchtlingsfreundlichen Labour-Politikerin Jo Cox sogar ein völlig sinnloses Todesopfer.

Ihr Einsatz für eine offene EU und das Schicksal der Flüchtlinge verbindet sie mit Rupert Neudeck, dessen Tod wir in diesem Monat betrauern und der sich weltweit und über viele Jahrzehnte für die Rettung und Aufnahme von Flüchtlingen eingesetzt hat. Über die Wurzeln seines Engagements sagte er einmal: “Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter reicht aus. Diese Geschichte tritt mir immer wieder in den Bauch: Du bist zuständig für die Not anderer Menschen. Jetzt sofort.” Weiterlesen

Wissen die Briten, was sie tun? Wie weiter mit Europa und Großbritannien nach dem Brexit-Referendum?

Liebe auf den ersten Blick war das zwischen Großbritannien und der Europäischen Union nie. Eher zwei Königskinder, die nicht zueinander finden wollten oder sollten. Mehr ein “Halb zog sie ihn, halb sank er hin“. Wen wundert daher der Ausgang des Referendums in Großbritannien, auf dessen Grundlage nun die britische Regierung Volkes Stimme in konkrete Politik umzumünzen hat?

Knapp werden würde es allemal, so alle Vorhersagen. Und mit einem knappen Ergebnis habe auch ich persönlich gerechnet. Mehr jedoch damit, dass die Briten noch die Kurve kriegen und wenn es auch keine Liebesheirat war, die 1973 geschlossen wurde, es dennoch bei der Vernunftehe bleibt und es nicht zur Scheidung kommt. Selbst als der sinnlose Mord an der pro-europäischen Labour-Politikerin Jo Cox dazu beitrug, in Großbritannien kurz den Atem anzuhalten, dachte ich noch: „Jetzt kommen die Briten zu Vernunft!“

Eine Extrawurst hatten die Briten in der Europäischen Union von Anfang an. Nicht erst mit ihrer Entscheidung, nicht der Euro-Zone beizutreten und an der eigenen Währung als äußeres Zeichen der nationalen Eigenständigkeit festhalten zu wollen, oder dem Schengener Übereinkommen nicht zuzustimmen. Fast schon ein wenig wie das bayrische “Mia san Mia!“ oder das kleine gallische Dorf. Aber wie viele Extrawürste dürfen es sein? Wie sollten die Briten da auch mit der Europäischen Union warm werden, wenn man sich jederzeit eine Sonderrolle und damit einen Sozius auf dem Trittbrett freihält – bereit, mal auf- und mal abzuspringen, wie es gerade passt?

Ein solches opportunistisches Verhalten entspricht nicht dem Fundament der Europäischen Union, eine Wertegemeinschaft zu sein, die in der gemeinsamen Überzeugung gründet auf Achtung der Menschenwürde, Freiheit, pluralistische Demokratie, Toleranz, Gleichheit und Nichtdiskriminierung, Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit, Wahrung der Menschenwürde einschließlich Minderheitenschutz und Solidarität. Der “Affentanz” – sorry, Gibraltar-, den die Briten in den letzten Monaten vor allem in der Frage der Flüchtlingspolitik sowie der Niederlassungs- und Freizügigkeitsfrage aufgeführt haben, steht für sich.

Abgeschottet für sich pflegen die Briten nun ihr exklusives Inseldasein, verhaftet in längst vergangenen Zeiten des Kolonialismus. Wer aber so offensichtlich nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist und glaubt, auf diese Weise aus der gemeinsamen Verantwortung raus zu sein und sich künftig die Rosinen aus dem englischen Teekuchen picken zu können, der täuscht. Welche Solidarität und welches Entgegenkommen wollen die Briten künftig von den anderen europäischen Staaten einfordern? Glauben sie wirklich, sie sind jetzt raus aus der Nummer mit den Flüchtlingen? Meinen sie, Menschen würden nicht mehr versuchen, nach Großbritannien zu gelangen?

Der Triumph der Brexit-Befürworter wird nur kurzlebig sein. Siege auf Kosten anderer sind selten süß, eher bitter wie englische Orangenmarmelade. Nicht nur für die anderen, vor allem für sich selbst und die nationalen Interessen. Das, was die knappe Mehrheit der Briten und vor allem die Agitatoren des Brexits los getreten haben, wird die Briten selbst überrollen. Die Spaltung in Gesellschaft und Vereinigtem Königreich tritt nur wenige Stunden nach dem Ergebnis des Referendums zutage.

Also, zurück zur Ausgangsfrage: Wissen die Briten, was sie tun?

Einladung zur Solidaritätskundgebung in Rondorf

Symbolbild

Am Samstag, dem 11. Juni, ist das Pfarrhaus von Rondorf durch ein Feuer unbewohnbar geworden. Die Polizei vermutet derzeit Brandstiftung als Ursache. Eine achtköpfige Familie aus dem Irak, die hier bei uns vor Ort eine

neue Heimat und Gemeinschaft gefunden hat, ist jetzt obdachlos.

Ganz gleich, was dieses Unglück auch ausgelöst hat: Wir hier in Rondorf wollen klar signalisieren, dass wir zueinander stehen und einander beistehen. Wir wollen auch ein klares Zeichen gegen Gewalt setzen, zu einem friedlichen Miteinander einladen und selber auch dafür einstehen.

Wir laden alle herzlich
am Samstag, den 18. Juni 2016, um 22.30 Uhr
zu einer Solidaritätskundgebung
vor dem zerstörten Pfarrhaus,
Hahnenstraße 21, 50997 Köln, ein.

Hand in Hand wollen wir Licht in der Dunkelheit entzünden, Ängste abbauen und Begegnung schaffen.

Am Sonntag, den 19. Juni, lädt die Katholische Kirchengemeinde Heilige Drei Könige um 11.00
Uhr zu einem Gottesdienst und anschließendem Solidaritätsmahl ein, um auch hier ein Zeichen
für Frieden und Gemeinschaft zu setzen.

Entsetzen über Brandanschlag in Rondorf

Gastbeitrag von Susanne Rabe-Rahman, Leitung Leistungsbereich Integration und Beratung:

“Es ist noch zu früh, etwas zum Täter und seiner Absicht sagen, ob er das Pfarrhaus in Rondorf oder die dort wohnende Familie treffen wollte, ob er wusste, dass die Familie nicht zu Hause ist oder sie doch dort vermutet hat…

Aber es kann nicht früh und deutlich genug sein, zu sagen, dass wir diesen Brandanschlag zutiefst bedauern, das wir uns der  Pfarrgemeinde und der Familie nahe und verbunden fühlen, das sie alle unser Mitgefühl haben. Wir wollen gern alle nach Kräften helfen, dass die Folgen für die Pfarrgemeinde und insbesondere für die aus dem Irak stammende Familie gemildert werden können.

Wer immer den Brand verursacht hat – ein psychisch kranker Mensch, vielleicht auch ein Extremist  – bekenne sich bitte zu seiner Tat und übernehme die Verantwortung dafür.

Wir wünschen uns eine baldige und umfassende Aufklärung der Hintergründe.

Wir alle wollen dafür Sorge tragen, das sich ein solches verabscheuungswürdiges Ereignis hier nicht wiederholt. Die Menschen in den Gemeinden, Initiativen, in der Nachbarschaft stehen für ein humanitäres und interkulturelles Engagement und sie stehen zu den BewohnerInnen ihres Stadtteils aus diversen Herkunftsregionen.”

Kardinal Woelki zum Tod von Rupert Neudeck

„Menschenwürde praktisch anschaulich gemacht“ – Glaubenszeugnis

Kardinal Woelki in PEK aktuell, Pressedienst des Erzbistums Köln:
Köln. Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki hat zum Tod von Cap-Anamur-Gründer und Flüchtlingshelfer Rupert Neudeck kondoliert:
„Gott hat Rupert Neudeck zu sich gerufen, nach menschlichem Ermessen viel zu früh. Die Nachricht von seinem Tod macht mich sehr betroffen. Als Kind hat er Flucht selbst erlebt und als unermüdlicher Helfer in den Kriegsgebieten der Erde die Not der Flüchtlinge geteilt. Sein Einsatz galt den Verlassenen und Verlierern in den Krisenregionen dieser Welt.
Ich habe zuletzt bei dem Gedenkgottesdienst „23.000 Glockenschläge“ im Juni 2015 auf dem Roncalliplatz in Köln für die Mittelmeerflüchtlinge mit ihm zusammengearbeitet und seinen unbeirrbaren, geradezu sturen Willen zu tatkräftiger Hilfe für Menschen in Not immer bewundert.
Der Not und der Zerstörung im Gefolge von Krieg und Gewalt setzte er Nächstenliebe, Mitmenschlichkeit und Zukunftshoffnung entgegen. Sein aus dem Glauben gespeistes beharrliches Engagement hat den Begriff Menschenwürde praktisch und anschaulich werden lassen. Für dieses Glaubens- und Lebenszeugnis bin ich ihm sehr dankbar.
In Gedanken und Gebeten bin ich bei seiner Frau, seiner Familie, seinen Angehörigen und den zahlreichen Freunden. Im Glauben dürfen wir vertrauen, dass er bei Gott seine Vollendung findet.“

Integration von Flüchtlingen in Arbeit

Aufnahme und Unterbringung von Asylsuchenden und Flüchtlingen sind dringliche Probleme, die kurzfristig von den Kommunen gelöst werden müssen. Mittel- und langfristig geht es aber um gesellschaftliche Integration, Spracherwerb, Ausbildung und Beschäftigung.

Dies wird in den kommenden Jahren eines der zentralen politischen Themen sein.

Die Erfahrungen aus unserer Beratungsarbeit zeigen, dass Integrationsangebote in aller Regel gerne und freiwillig in Anspruch genommen werden. So liegt es meist nicht an einer fehlenden Bereitschaft der Flüchtlinge zur Teilnahme, sondern an fehlenden und passgenauen Angeboten, wenn Asylsuchende und Schutzberechtigte nicht zeitnah entsprechende Maßnahmen besuchen. Dies belegen auch die teils monatelangen Wartezeiten. Im Spracherwerb und der Integration in den Arbeitsmarkt sieht auch die Bundesregierung zwei wichtige Eckpunkte für eine gelingende Integration in die Gesellschaft. Doch Integration als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden umfasst die soziale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Teilhabe.

Zudem können sich die Flüchtlinge erst wirklich in den Arbeitsmarkt integrieren, wenn die Asylverfahren erfolgreich abgeschlossen werden. Das kann nach der Ankunft leicht acht, neun Monate oder länger dauern. Obwohl durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz Integrationskurse für Asylbewerber mit “guter Bleibeperspektive” geöffnet wurden, gibt es kein bundesweites Sprachkurs-Programm für alle Asylsuchenden. Außerdem dauert die Anerkennung von Abschlüssen lange, die Vorrangprüfung schränkt die Arbeitsmöglichkeiten ein.