Ein Plädoyer für Langsamkeit
Was würde ich nur ohne meinen kleinen Helfer machen? Das Smartphone eines renommierten Herstellers mit angebissenem Obst als Logo hilft mir wirklich, mein Leben zu meistern. Nicht nur die klassischen Funktionen wie Kalender, Mails, Internet oder Telefon kann ich damit nutzen: Nein, es hilft mir, mich selbst zu optimieren. Zumindest soll es das, wenn ich den vielen, vielen Menschen glauben darf, für die jenes Thema im Mittelpunkt ihres Lebens zu stehen scheint: Selbstoptimierung.
Pünktlich um 5.30 Uhr werden die durch die „Schlafenszeit“-App des gerade beschrieben Handys geweckt und bekommen gleich mitgeteilt, wie viel Stunden sie geschlafen haben (6, absolut perfekt!) wie Herzfrequenz und Puls sich so schlagen (Top!) und was als nächstes an Gesundheitsratschlägen (Sport!) befolgt werden sollte. Also: Laufschuhe an, Frühsport. Zwischendrin ein Selfie am Rhein mit vom Morgenrot gefärbtem Himmel im Hintergrund (Stylisch gefiltert natürlich!) für diverse soziale Netzwerke. Nach fünf Kilometern nach Hause, meditieren, aber vorher noch schnell die Joggingstrecke (mega geile Runmap heute!) via App in, richtig, die sozialen Netzwerke geladen.
Danach sind sie ja so im Einklang mit sich selbst, Foto von der Yogamatte inklusive natürlich. Wieder ab in die sozialen Netzwerke damit, schnell duschen und dann ab an den, genau, MIXER. Klar, die machen sich alle einen Smoothie zum Frühstück. Mega gesund. Woher ich das weiß? Ich bekomme das ja alles auf Instagram präsentiert. Bin also quasi immer dabei. Und weiß daher auch, was im Büro (ach nein, das heißt jetzt co-working space) so läuft: Kreativität läuft da vor allem. Bei allen. Mega spannende Projekte! Ausschließlich. Mittagspause ist Slow-Food-Zeit und ich lerne gleich, dass Avocados (out!) chilenische Kleinbauern ruinieren (Großplantagen!) und Dürren verursachen (Wahnsinns-Wasserverbrauch!). Naja, schmecken mir eh nicht.
Abends dann treffe ich sie im Biergarten (den ich jetzt übrigens chill-out-area nennen soll) nach ihrem Workout (weiß ich aus Facebook!) und sie präsentieren mir in ihrer Health-App, wie super optimiert sie sind: Heute genug Schritte gemacht, Herzfrequenz top, genug Kalorien und Vitamine zu sich genommen, aber auch genug Kalorien verbrannt, genug Schlaf bekommen und Bewegung, kurzum: Der perfekte Tag. Wetter geil, im Büro sind alle super gechillt und überhaupt fühlen sie sich super, sexy, healthy. Schneller, höher, weiter. Klar soweit? Ah, aber bitte ein stilles Wasser nur, das Glas Wein zerhaut den Diätplan. Genau, hatte ich vergessen. Genauso wie das Bild für Instagram…
Ich finde das schwer erträglich. Ich soll ständig besser werden, die Regale in der Buchhandlung (das sind diese kleinen, seltener werdenden Länden in der Stadt, in denen man phantasievolle, fremde Welten und wunderbare Geschichten auf Papier gedruckt kaufen kann) finden sich immer mehr Ratgeber mit Titeln wie „Symplify your life“ oder „In 10 Schritten zum perfekten Leben“, die Werbung suggeriert mir, ich brauche unbedingt Apps, technische Helferlein und Produkte, die mein Leben und mich besser machen sollen. Und gleichzeitig wird mir unterbewusst eingeredet, dass ich nicht gut genug bin.
Ich will aber nicht, dass das mein einziger Lebensinhalt wird. Ich will morgens weiterhin meinen Kaffee trinken, den Wecker noch zweimal „schlummern“ lassen und in der Mittagspause auch mal die Currywurst mit Pommes. Und Majo. Und ne Cola.
Ich halte ein Plädoyer für Langsamkeit: Lasst uns doch einfach mal das Handy ausschalten. Lasst uns doch einfach mal am Rhein Enten beobachten und abends ein Glas Wein trinken. Nicht, weil es uns besser macht, sondern weil es uns GLÜCKLICH macht. Und wenn dazu eine Tafel Schokolade, eine ganze Tüte Chips oder ein Wochenende im Bett bzw. auf der Couch gehört mit der Lieblingsserie oder einem guten Buch (diese Dinger von eben, mit den Geschichten drin, ihr wisst schon), ja warum denn dann nicht? Übrigens ist wissenschaftlich bewiesen, dass wir das Langweilen verlernt haben. Unser Gehirn kann schwer abschalten aufgrund der vielen Reize in unserer Welt, auch was den unterbewussten Druck angeht, immer „etwas Sinnvolles“ tun zu müssen. Das, gepaart mit Erwartungen an den perfekten Körper, das perfekte Leben, das uns die sozialen Netzwerke und die Werbung vermitteln, kann nachweislich zu Depressionen und weiteren seelischen und körperlichen Erkrankungen führen. Der ganze selbstgemachte Stress ist also auch noch ungesund und erreicht zum Teil das Gegenteil dessen, was man eigentlich wollte. Nein, danke!
Natürlich muss das jeder und jede von uns selbst entscheiden. Ich will niemandem vorschreiben, sich bei Instagram abzumelden, aufzuhören, zu meditieren oder früh morgens nicht joggen zu gehen. Ich mache auch Sport, achte auch auf meine Gesundheit und gesundes Essen, mein Tag hat auch Struktur und ich mag meinen Job und die Kolleg*innen. Aber ich lasse nicht zu, dass nur noch die Selbstoptimierung mein Leben bestimmt.
Denn ich finde, ich darf auch mal schlechte Laune haben, keine Lust aufs Büro, morgens müde und mal ungestylt sein und an freien Tagen ausschlafen. Und das Wetter ätzend finden (ihr wisst schon: Im Sommer ists zu warm und im Winter zu kalt…). Ich darf auch mal ungesunde Sachen essen, einfach weil sie mir schmecken, und nicht, weil sie gerade „angesagt“ oder besonders „hipp“ sind, mal ein Bier trinken und statt ins Training zu gehen auf der Couch liegen und fernsehen. Ich finde, wir haben schon genug Stress im Leben, da ist es auch mal erlaubt, nicht perfekt, sondern faul und gechillt zu sein. Sich zu besinnen, abzuschalten und das Leben und die Welt zu genießen. Und das Smartphone zu als das zu sehen, was es ist: Ein praktisches Telefon und nicht mein persönlicher „drill sergeant“.
Interessanter Ansatz, aber was ist wenn das Smartphone schon längst kein Telefon mehr ist und vor allem nie mehr sein wird? Dann wäre ja nicht Langsamkeit die Lösung, sondern ein bewussterer Umgang damit. Doch auch hier gibt es ergänzende Grenzen, denn der bewusste Umgang ist am Ende pragmatisch gesehen für die Masse der Menschen eine moderne Utopie, die nie mehr eintreten kann in einer Gesellschaft in der sämtliche Prozesse digitalisiert oder auch digital transformiert werden.
Da kann es doch nur heißen das Thema konsequent anzupacken. Letztlich bin ich überzeugt, dass mit ein wenig Kreativität auch hier spannende Lösungen z.B. von der Caritas entwickelt werden können.